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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Überzeugung nach ist, auf die ihr einzig begreifliche Weise zur Verehrung des Geistes angehalten wird, nämlich indem er sich ihr als nützlich erweist? Dies vielbesuchte Städtchen zieht manchen handgreiflichen Vorteil aus dem Ansehen des deutschen Genius, der sich für die Welt in ihm – und hier wieder nachgerade fast allein in einer bestimmten Person – konzentriert: was Wunder, daß seine brave Population sich zum Respekt bekehrt findet vor dem, was ihr sonst Firlefanz wäre, und die schönen Wissenschaften nebst allem, was damit zusammenhängt, als ihre eigenste Angelegenheit betrachtet, – wobei sie natürlich, der die Werke des Geistes denn doch so unzugänglich bleiben wie jeder anderen, sich an die persönlichen Specialissima hält, wobei und woran diese Werke entstanden sind?«
    »Mir scheint«, erwiderte Charlotte, »Sie geben dieser Menschheit mit der einen Hand nur, um ihr mit der anderen wieder zu nehmen. Denn indem Sie eine mir so lästige Neugier im Edler-Geistigen begründen zu wollen scheinen, begründen Sie dies Bessere wieder auf eine Weise im Gemein-Materiellen, daß mir bei der Sache nicht wohler werden kann, ja, eine gewisse Kränkung für mich dabei abfällt.«
    »Verehrteste Frau«, sagte er, »es ist kaum angängig, von einem so zweideutigen Wesen wie dem Menschen anders als zweideutig zu reden; eine solche Redeweise wird noch nicht als {55} Verstoß gegen die Humanität zu erachten sein. Ich denke, man erweist sich nicht als mißwollender Schwarzseher, sondern als Freund des Lebens, indem man seinen Erscheinungen ihr Gutes und Erfreuliches abgewinnt, ohne eben ihrer Kehrseite unkundig zu sein, wo denn mancher derbe Knoten starren und manch nüchterner Faden hängen mag. Jene Gaffer dort unten aber in Schutz zu nehmen gegen Ihre Ungeduld habe ich alle Ursach, denn allein meine leidlich erhöhte Stellung in der Sozietät sondert mich von ihnen ab, und dürfte ich nicht neidenswerter Weise zufällig hier oben vor Ihnen stehen, so machte ich mit dem süßen Pöbel dort unten den Konstablern zu schaffen. Derselbe Impuls, der ihn zusammentreibt, bestimmte – meinetwegen in etwas gehobener und geläuterter Gestalt – auch mein Handeln, als vor einer Stunde mein Barbier mir beim Schaumschlagen die städtische Neuigkeit hinterbrachte, Charlotte Kestner sei früh um achte mit der Post eingetroffen und im ›Elefanten‹ abgestiegen. So gut wie er, so gut wie ganz Weimar wußte ich und empfand es tief, wer das sei, was dieser Name bedeute, und es litt mich nicht in meinen vier Wänden, früher als meine Absicht gewesen war, warf ich mich in Anzug und eilte hierher, um Ihnen meine Huldigung darzubringen, – die Huldigung eines Fremden und eines Schicksalsverwandten, eines Bruders doch auch wieder, dessen Existenz auf ihre männliche Art gleichfalls in das große Leben verwoben ist, das die Welt bestaunt, – den Brudergruß eines Mannes, dessen Namen die Nachwelt immer als den eines Freundes und Helfers wird anführen müssen, wenn von den Herkulesthaten des Großen die Rede sein wird.«
    Charlotte, nicht sonderlich angenehm berührt, glaubte zu bemerken, daß bei diesen ehrgeizigen Worten der stehend beleidigte Zug um des Doktors Mund sich verstärkte, als sei seine peremptorische Forderung an die Nachwelt eigentlich Ausdruck des Mißtrauens, das er in ihre gerechte Erfüllung setzte.
    {56} »Ei«, sagte sie, indem sie die blanke Rasur des Gelehrten betrachtete, »Ihr Barbier hat geplaudert? Nun, am Ende ist das seines Amtes und Standes. Aber vor einer Stunde erst? Es scheint, ich mache da die Bekanntschaft eines Langschläfers, Herr Doktor.«
    »Ich gestehe es«, erwiderte er mit etwas hängendem Lächeln.
    Sie hatten auf Stühlen mit gehöhlten Rückenlehnen an einem Tischchen Platz genommen, das seitlich unter einem Portrait des Großherzogs stand, welcher, jugendlich noch, in Kanonenstiefeln und Ordensband, sich auf ein mit kriegerischen Emblemen belastetes antikes Postament stützte. Die faltig bekleidete Gipsgestalt einer Flora schmückte das sparsam möblierte, aber mit hübschen mythologischen Sopraporten versehene Zimmer. Ein weißer und säulenförmiger Ofen, um den ein Genienreigen lief, bildete in einer anderen Nische das Gegenstück der Göttin.
    »Ich gestehe«, sagte Riemer, »diese meine Schwäche für den Morgenschlummer. Könnte man sagen, man halte auf eine Schwäche, so würde ich diese Ausdrucksweise wählen. Nicht beim ersten Hahnenschrei aus den Federn zu müssen,

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