Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Verehrteste, der in Dingen des Gruselns nun einmal nicht so begriffsstutzig ist, wie Der, der auszog es zu lernen; mich gruselt es leicht, das gestehe ich unumwunden, und hier war ohne Zweifel ein zureichender Anlaß dazu. Überlegen Sie, was das heißen will: es sei nichts genießbar ohne einen Beisatz von Ironie, id est von Nihilism. Das ist der Nihilism selbst und die Vernichtung der Begeisterung, vorbehaltlich allenfalls derjenigen für die absolute Kunst, wenn das eine Begeisterung zu nennen ist. Ich habe diese Aeußerung nie vergessen, obgleich ich im Ganzen die Beobachtung gemacht habe – und es ist eine etwas unheimliche Beobachtung –, daß man leicht vergißt, was er gesagt hat. Man vergißt es leicht. Das mag zum Teil daher kommen, daß man ihn liebt und zu sehr auf die Stimme, den Blick, den Ausdruck achtet, womit er etwas sagt, als daß für das Gesagte genug Aufmerksamkeit übrig bliebe, – richtiger: es mag vielleicht nicht genug von dem Gesagten übrig bleiben, wenn man Blick, Stimme und Gebärde davon abzieht, denn sie gehören zur Sache, und in einem mehr als gewöhnlichen Grade ist bei ihm das Sachliche an das Per {93} sönliche gebunden und durch dasselbe – ich getraue mich zu sagen: bis in seine Wahrheit hinein bedingt, sodaß es am Ende ohne Zutat und Halt des Persönlichen garnicht mehr wahr ist. Das alles mag sein, ich sage nichts dagegen. Und doch genügt es nicht ganz, die auffallend leichte Vergeßbarkeit seiner Aeußerungen zu erklären, – es muß da noch eine Ursache sein, die in den Aeußerungen selber liegt, und hier habe ich den Widerspruch im Sinn, den sie oftmals in sich selber tragen, eine unnennbare Zweideutigkeit, die, wie es scheint, die Sache der Natur und der absoluten Kunst ist und ihre Haltbarkeit, ihre Behältlichkeit beeinträchtigt. Behältlich und dem armen Menschengeist dienlich ist nur das Moralische. Was aber nicht moralisch ist, sondern elementarisch, neutral und boshaft-verwirrend, kurzum elbisch – lassen Sie uns an diesem Worte festhalten: ›elbisch‹ habe ich gesagt –, was aus einer Welt des allgemeinen Geltenlassens und der vernichtenden Toleranz kommt, einer Welt ohne Zweck und Ursach', in der das Böse und das Gute ihr gleiches ironisches Recht haben, das kann der Mensch nicht behalten, weil er kein Vertrauen dazu haben kann, ausgenommen allerdings das ungeheuere Vertrauen, das er nun dennoch auch wieder dazu hat und welches beweist, daß der Mensch zum Widerspruchsvollen nur widerspruchsvoll sich verhalten kann. Denn, teuerste Frau, dies grenzenlose Vertrauen entspricht einer ungeheueren Gutmütigkeit, die mit dem elbischen Wesen verbunden ist und ihm zugleich entgegensteht, sodaß es ihm widerspricht und ihm antwortet: ›Was weißt du, was der Mensch bedarf!‹ Ihm antwortet: ›Ein reines Wort erreget schöne Taten. Der Mensch fühlt sein Bedürfnis nur zu sehr und läßt sich gern im Ernste raten.‹ So werden aus lauter Gutmütigkeit das Natur-Elbische und die umfassende Ironie denn doch moralisch, – aber, offen gestanden, das ungeheuere Vertrauen, das man ihm entgegenbringt, ist garnicht moralisch, – sonst wäre es nicht so ungeheuer. Es ist seinerseits {94} elementarisch, naturhaft und umfassend. Es ist das unmoralische, aber den Menschen ganz erfüllende Vertrauen zu einer Gutmütigkeit, die ihren Mann zu einem geborenen Beichtvater und Großpoenitentiarius macht, welcher alles weiß und alles kennt, und dem man durchaus alles sagen möchte und sagen könnte, weil man spürt, daß er gar gern den Menschen etwas zu Liebe tun, ihnen die Welt zugute machen und sie leben lehren möchte – nicht aus Achtung gerade, aber eben aus Liebe, oder sagen wir vielleicht lieber: aus Sympathie; ziehen wir dieses Wort vor, das mir zu dem mehrfach erwähnten und ganz außerordentlichen Wohlsein, das man in seiner Nähe empfindet, und auf das ich nur darum zurückkomme, weil es mir noch nicht gelang, mich wirklich darüber auszulassen, – besser zu passen, es besser zu erklären scheint, als jenes andere, pathetischere. Auch das Wohlsein ist nicht pathetisch, will sagen: es ist nicht geistiger, sondern eher – sehen Sie meiner Not die Worte nach! – betulicher, sinnlicher Art, und wenn es auch seinerseits seinen Widerspruch, nämlich die äußerste Beklommenheit und Apprehension in sich trägt; wenn ich von einem Stuhle gesprochen haben sollte, auf dem man vor panischem Fluchtdrang nicht ruhig sitzen könne, so muß das wohl mit dem
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