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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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die Größe in Gestalt höchster Liebenswürdigkeit, das Liebenswürdige zur Größe gesteigert. So wohnet es unter uns und redet mit Engelsmund. Mit Engelsmund, teuerste Frau! Schlagen Sie sein Werk, diese Welt von einem Werke auf, wo Sie wollen; nehmen Sie nur etwas wie das Vorspiel auf dem Theater – ich las es noch heute Morgen wieder, in Erwartung des Barbiers – nehmen Sie ein solches heiter-tiefsinniges Nebenbei wie die Parabel vom Fliegentod:
    {86} ›Sie saugt mit Gier verrätrisches Getränke
    Unabgesetzt, vom ersten Zug verführt;
    Sie fühlt sich wohl, und längst sind die Gelenke
    Der zarten Beinchen schon paralysiert …‹
    - aber es ist der lächerlichste Zufall, die blindeste Willkür, daß ich just dies und nichts anderes aus der unabsehbaren Fülle des köstlich sich Anbietenden greife – kurzum, wie ist das alles mit Engelsmund, mit dem schön geschwungenen Göttermund der Vollendung gesprochen, wie ist es geprägt in jeder Erscheinung, als Theaterstück, als Lied, als Erzählung, als deutscher Kernspruch, mit dem Stempel persönlichster Liebenswürdigkeit, – der Egmont-Liebenswürdigkeit! Ich nenne sie so, und es drängt sich dieses Stück in meine Gedanken, weil hier eine besonders glückliche Einheit und innere Entsprechung waltet und die keineswegs tadelsfreie Liebenswürdigkeit des Helden genau mit der gleichfalls keineswegs tadelsfreien Liebenswürdigkeit des Werkes selbst korrespondiert, worin er wandelt. Oder nehmen Sie seine Prosa, die Erzählungen und Romanen, – wir haben das Thema wohl schon berührt, ich erinnere mich dunkel, schon davon gesprochen, mich darüber versprochen zu haben. Es gibt keine goldnere Gefälligkeit, keine bescheidnere und heiterere Genialität. Da ist nicht Pomp noch Hochgefühl, nichts von Gehobenheit im äußerlichen Sinn – obgleich innerlich alles wunderbar gehoben ist und jeder andere Vortragsstil, nämlich gerade der gehobene, einem daneben platt erscheint – von Feierlichkeit nichts und priesterlicher Gebärde, nichts von Verstiegenheit und Überschwang, kein Feuersturm und Geschmetter der Leidenschaft – im stillen, sanften Säuseln, meine Liebe, ist Gott auch hier. Man möchte von Nüchternheit, von purer Nettigkeit reden, besönne man sich nicht, daß diese Sprache allerdings immer zum Aeußersten geht, aber sie tut es auf einer mittleren Linie, mit Gesetztheit, mit vollkommener {87} Artigkeit, ihre Kühnheit ist diskret, ihre Gewagtheit meisterlich, ihr poetischer Takt unfehlbar. Es kann sein, daß ich mich fortwährend verspreche, aber ich schwöre Ihnen – obgleich es der Sache wenig gemäß sein mag, wilde Schwüre zu leisten –, daß ich mich jetzt ebenso mühe, die Wahrheit zu sagen, wie da ich entgegengesetzte Ausdrücke gebrauchte. Ich sage, ich versuche zu sagen: Es ist da alles in mittlerer Stimmlage und Stärke gesprochen, mäßig durchaus, durchaus prosaisch, aber das ist der wunderlich übermütigste Prosaism, welchen die Welt gesehen: neuschaffen Wort hat lächelnd verwunschenen Sinn, ins Heiter-Geisterhafte wallt es hinüber, goldig zugleich, oder ›goldisch‹ wie's in der Heimat heißt, und völlig sublim, – aufs angenehmste gebunden, moduliert aufs gefälligste, voll kindlich klugen Zaubers, trägt es sich vor in gesitteter Verwegenheit.«
    »Sie sprechen vortrefflich, Doktor Riemer. Ich höre Ihnen mit all der Dankbarkeit zu, die die Genauigkeit erweckt. Sie haben eine Art, sich über den Sachverhalt auszudrücken, die von eindringlicher Beschäftigung damit, einem langen und scharfen Hinsehen zeugt. Und trotzdem, lassen Sie mich das gestehen, bin ich nicht sicher, ob Ihre Befürchtung, Sie möchten sich auch jetzt noch versprechen über den außerordentlichen Gegenstand, ganz ungerechtfertigt ist. Ich kann nicht leugnen, daß mein Vergnügen, mein Beifall doch recht fern davon sind, eigentliche Befriedigung, volles Genüge zu bedeuten. Ihre Lobrede hat – vielleicht gerade vermöge ihrer Genauigkeit – etwas Herabminderndes, sie hat noch immer einen Einschlag von Hechelei, der mir heimlich bange macht und auf den Widerspruch meines Herzens stößt – dies Herz ist versucht, sie eine Fehlrede zu nennen. Möge es töricht sein, vom Großen nur immer zu sagen: ›Groß! Groß!‹, mögen Sie es vorziehen, mit einer Genauigkeit davon zu reden, deren Charakter ich, glauben Sie mir, nicht verkenne, von der ich wohl weiß, {88} wohl fühle, daß sie der Liebe entstammt. Aber trifft man auch wohl, halten Sie

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