Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
nicht-geistigen, nicht-pathetischen und nicht-moralischen Wesen des Wohlgefühls zusammenhängen; vor allen Dingen aber ist anzunehmen, daß dieses Unbehagen nicht primär aus uns selber stammt, sondern von dort, woher auch das Wohlsein, dem es zugehört, sich uns mitteilt, nämlich aus der Identität von All und Nichts, aus der Sphäre der absoluten Kunst und der umfassenden Ironie. Denn daß dort das Glück nicht wohnt, meine Liebe, davon habe ich eine so ungeheuere Ahnung, daß sie mir manchmal das Herz zu sprengen droht. Halten Sie Proteus, der sich in alle Formen verwandelt und in allen zu Hause ist, der zwar immer Proteus, aber immer ein anderer ist und recht eigentlich sein Sach' auf nichts gestellt {95} hat, – halten Sie ihn, erlauben Sie mir zu fragen, für ein glückliches Wesen? Er ist ein Gott, oder etwas wie ein Gott, und das Göttliche spüren wir gleich, die Alten haben uns gelehrt, daß ein eigentümlicher Wohlgeruch damit verbunden ist, woran man es gleich erkenne, und an diesem Gottesozon, den wir in seiner Nähe atmen, erkennen auch wir den Gott und das Göttliche, – es ist ein unbeschreiblich angenehmer Eindruck. Aber wenn wir sagen: ein Gott, so sagen wir schon etwas Unchristliches, und es ist bei alldem kein Christentum, das ist nun einmal gewiß, – kein Glaube an etwas Gutes in der Welt und keine Parteinahme für dieses, will sagen: kein Gemüt und keine Begeisterung, denn die Begeisterung gilt dem Ideellen, der ganz Natur gewordene Geist aber schätzt die Ideen äußerst gering, er ist ein unglaubiger Geist, ohne Gemüt, welches bloß in Gestalt der Sympathie und einer gewissen Buhlerei bei ihm erscheint, und seine Sache ist ein alles umfassender Skeptizism – der Skeptizism des Proteus. Der wunderbar angenehme Eindruck, den wir verspüren, darf uns meiner Überzeugung nach nicht verleiten, zu glauben, daß hier das Glück wohnt. Denn das Glück, ich müßte denn ganz und gar irren, ist allein bei der Glaubigkeit und der Begeisterung, ja bei der Parteinahme, nicht aber bei der elbischen Ironie und dem vernichtenden Gleichmut. Gottesozon – o ja! Nie atmet man sich satt daran. Aber man läßt sich nicht neun plus vier Jahre beglücken von diesem Fluidum, ohne Erfahrungen zu machen und auf Erscheinungen zu stoßen, Erscheinungen, die man gewißlich nicht mißversteht, wenn man sie als leise schauerliche Belege deutet für das, was ich vom Glücke sagte, als da ist: viel Mürrischkeit, Unlust und hoffnungsloses Verstummen, dessen die Sozietät sich von ihm zu versehen hat, wenn das Unglück es will, – nicht von dem Gastgeber, nein, als solcher erlaubt er sich's nicht, wohl aber vom Gaste, der in maussades Schweigen verfällt und grämlich verschlossenen Mundes aus einem Win {96} kel in den anderen irrt. Denken Sie sich diese Kalamität und Bedrückung! Alles schweigt, – denn wenn er stumm ist, wer soll da reden? Bricht er dann auf, schleicht alles nach Haus und murmelt betreten: ›Er war maussade.‹ Er ist es ein wenig oft. Wir haben da eine Kälte und Steifigkeit, ein gepanzertes Zeremoniell, hinter dem geheimnisvolle Verlegenheit sich verbirgt, eine seltsam rasche Ermüdbarkeit und Angegriffenheit, einen starren Zirkel und Turnus des Daseins: Weimar – Jena – Karlsbad – Jena – Weimar –, eine wachsende Neigung zur Einsamkeit, zur Verknöcherung, tyrannischen Intoleranz, Pedanterei, Sonderbarkeit, magischen Maniriertheit, – meine liebe, gute, teuerste Frau, das ist nicht das Alter allein, das Alter brauchte so nicht zu sein, was ich darin sehe, darin zu sehen gelernt habe, das sind die leise schauerlichen Merkmale vollendeter Unglaubigkeit und der elbischen All-Ironie, welche an die Stelle der Begeisterung den Zeitdienst, die wunderlichste Geschäftigkeit und die magische Ordnung setzt. Die Menschen achtet sie nicht – es sind Bestien, und ewiglich wird's nicht besser werden mit ihnen. An Ideen glaubt sie nicht – Freiheit, Vaterland, das hat keine Natur und ist leeres Stroh. Aber da sie der Sinn der absoluten Kunst ist, – glaubt sie denn auch nur an die Kunst? Das tut sie mit nichten, meine Verehrte. Sie steht im Grunde recht souverän dazu. ›Ein Gedicht‹, habe ich ihn sagen hören, ›ist eigentlich garnichts. Ein Gedicht, wissen Sie, ist wie ein Kuß, den man der Welt gibt. Aber aus Küssen werden keine Kinder.‹ Danach wollte er nichts mehr sagen. Aber Sie wollten etwas bemerken, wenn ich nicht irre?«
Die Hand, die er gegen sie ausstreckte,
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