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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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eingewoben. Das machte für uns die Sache nicht besser und schlechter. Er tröstete Kestnern auch, er sei nicht Albert, beileibe nicht, – aber wenn es die Leute doch glauben mußten? Daß ich nicht Lotte sei, hat er nicht behauptet, ließ mir aber eine Hand geben durch meinen Guten, ganz warm von ihm, und mir ausrichten: Meinen Namen von tausend heiligen Lippen mit Ehrfurcht ausgesprochen zu wissen, sei doch ein Aequivalent gegen etliches Basengeschwätz, – und da mocht' er recht haben. Es war mir von Anfang an auch nicht so sehr um mich, als um meinen gekränkten Guten, und recht von Herzen hab' ich ihm die Genugtuungen gegönnt, die das Leben dank seinen vorzüglichen Eigenschaften ihm brachte, besonders auch, daß er der Vater meiner elf oder doch neun Kinder wurde, für die der andere übrigens immer viel Herz und Sinn hatte, das muß man ihm nachrühmen. Er möchte, schrieb er uns einmal, sie alle aus der Taufe heben, weil sie ihm alle so nahe seien wie wir, und wirklich haben wir ihm bei dem Aeltesten gleich, anno 74, die Patenschaft zugestanden, obgleich wir den Jungen doch lieber nicht gerade Wolfgang genannt haben, wie jener ihn durchaus genannt wissen wollte, sondern nannten ihn hinter seinem Rücken Georg. Aber anno 83 schickte Kestner ihm die Scherenschnitte aller damals vorhandenen Kinder, und er hat sich sehr darüber gefreut. Er ist auch noch vor sechs Jahren meinem Sohne Theodor, dem Medikus, der eine Frankfurterin zur Frau hat, die geborene Lippert, behilflich gewesen, das Bürgerrecht zu erlangen und die Professur an der medizinisch-chirurgischen Lehranstalt, – ja doch, verzeihen Sie, in diesem Fall hat er seinen Einfluß geltend gemacht; und als Theodor ihm voriges Jahr zusammen mit seinem Bruder August, dem Legationsrat, {100} auf der Gerbermühle beim Doktor Willemer aufwartete, hat er die beiden sehr freundlich empfangen, sich auch nach meinem Befinden erkundigt und ihnen sogar von den Silhouetten erzählt, die ihr seliger Vater ihm einst geschickt habe, als sie noch böse Buben gewesen, sodaß er sie alle schon kenne. August und Theodor haben mir den Besuch genauestens schildern müssen. Er hat sich über Silhouetten ergangen und es getadelt, daß diese sonst so gangbare Art sich ein Andenken zu geben, so ganz aus der Mode gekommen sei; man habe doch einen treuen Schatten des Freundes daran gehabt. Recht sehr verbindlich soll er gewesen sein, nur etwas unruhig bei der Konversation im Garten, wo eine kleine Gesellschaft versammelt war, ist hin und her gegangen zwischen den Leuten auf dem Platz, eine Hand in der Tasche, die andere im Busen, und wenn er stille stand, so hat er sich doch auf den Füßen gewiegt und sich auch wohl angelehnt.«
    »Man müßt' es nicht kennen«, sagte Riemer. »Er war maussade. Und die Sentenz über das Abhandenkommen der Scherenschnitte ist völlig bedeutungslos, gesagt, damit etwas gesagt werde, ein unaufrichtiges Irgendwas. Wir wollen es ja nicht aufzeichnen.«
    »Ich weiß doch nicht, lieber Herr Doktor. Er mag die Reize und Vorteile der Scherenkunst wohl schätzen gelernt haben. Wie hätte er sich anders als durch die Schattenrisse, die wir ihm schickten, ein Bild machen sollen von meinen Kindern, da er doch trotz seinem Attachement für sie niemals Gelegenheit genommen oder gefunden hat, ihre Bekanntschaft zu machen und auch seinen alten Kestner wiederzusehen? Da waren die Schnitte gar wohl am Platze. Sie müssen auch wissen, daß er zu Wetzlar auch meine Silhouette besaß (ich wüßte gern, ob er sie noch verwahrt) und große, stürmische Freude und Dankbarkeit bezeigte, als Kestner sie ihm schenkte. Auch daher könnte wohl seine Anhänglichkeit an diese Erfindung rühren.«
    {101} »O, unbedingt. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob die Reliquie sich noch unter dem Seinen findet. Es wäre von Wichtigkeit, und Sie sehen mich gern erbötig, ihn einmal zu guter Stunde darüber auszuforschen.«
    »Ich hätte Lust es selber zu tun. Auf jeden Fall ist mir bekannt, daß er zu Zeiten so recht einen Kult mit dem armen Schatten getrieben hat. ›Tausend, tausend Küsse hab ich drauf gedrückt, tausend Grüße ihm zugewinkt, wenn ich ausging oder nach Hause kam.‹ So steht's geschrieben. Im Werther hat er das Bild mir rückvermacht; er aber hat sich ja, dem Himmel sei Dank, uns allen zum Heil nicht erschossen, und also muß er's wohl noch besitzen, wenn's nicht die Zeit ihm verweht hat. Auch durft' er's nicht mir zurückvermachen, denn nicht von mir hatte er's,

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