Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
menschlich im Leiden, göttlich aber im Selbstgefallen. Sie mag sich in sonderbaren Formen und Charakteren der Liebe gefallen, zum Exempel in der Liebe zu einer Braut, also zum Versagten und Verbotenen. Ich fand, daß es sie begeistert, mit den verführerischen Zeichen ihrer Herkunft aus einer fremden, unbürgerlichen Liebeswelt geschmückt, in ein menschlich Verhältnis einzutreten und daran teilzunehmen, berauscht von der Schuld, in die sie stürzt und die sie auf sich lädt. Sie hat viel von dem sehr großen Herrn – und er von ihr –, den es freut, vor dem geblendeten kleinen Mädchen aus dem Volk, das ihn anbetet, und bei dem sie nur zu mühelos den schlichten Liebhaber aussticht, den Mantel auseinanderzuschlagen und sich ihr in der Pracht des spanischen Hofkleides zu zeigen … Solcher Art ist ihre Selbstgefälligkeit.«
»Sie scheint mir«, sagte Charlotte, »mit zuviel Genügsamkeit verbunden, diese Selbstgefälligkeit, als daß ich ihre Berechtigung ganz anzuerkennen vermöchte. Meine Verwirrung von damals – eine nachhaltige Verwirrung, ich will es nur gestehen – galt ja vor allem der Mitleid erregenden Rolle, zu der das Göttliche, wie Sie es nennen, sich da bequemte. Sie haben es verstanden, mein Lieber, einem grassen Wort, das mir entschlüpf {120} te, eine hohe, majestätische Deutung zu geben, und ich bin Ihnen dankbar dafür. Aber, die Wahrheit zu sagen, wie kläglich stand es doch auch wieder um dies göttliche Hospitantentum und in welche beschämte Verwunderung stürzte es uns schlicht zusammengehörige Leute, uns zum Mitleid genötigt zu sehen mit diesem Dritten im Bunde, diesem Freunde, soviel höher an Glanz als wir Sterblichen. Hatte er's nötig, den Almosenempfänger zu machen? Denn was waren mein Schattenriß, die Busenschleife, die Kestner ihm schenkte, anderes als Almosen und milde Gaben? Ich weiß wohl, sie waren zugleich auch etwas wie ein Opfer, eine Versöhnungszahlung, – ich, die Braut, verstand mich durchaus darauf, und die Gabe geschah mit meinem Einverständnis. Dennoch, Doktor, habe ich ein Leben lang nicht aufgehört, nachzugrübeln über des Götterjünglings Genügsamkeit. Ich will Ihnen etwas erzählen, worüber ich ebenfalls vierzig Jahre lang nachgegrübelt habe, ohne der Sache auf den Grund zu kommen, – etwas, was Born mir einmal berichtet hat, – Praktikant Born, der damals bei uns in Wetzlar war, ein Sohn des Bürgermeisters von Leipzig, müssen Sie wissen, mit ihm schon von der Universität her bekannt. Born meinte es gut mit ihm und mit uns, mit Kestnern besonders, – ein trefflicher, wohlerzogener Junge mit vielem Sinn fürs Schickliche, und der gewisse Dinge nicht gerne sah. Er machte sich Sorgen, wie ich später erfuhr, über sein Verhältnis und Verhalten zu mir, welches doch völlig das Ansehen eines Techtel-Mechtels gehabt habe, gefährlich für Kestnern, also daß er mir den Hof gemacht habe genau, als gälte es, mich Kestnern abzuspannen und selber zu nehmen. Er hat es ihm gesagt und es ihm vorgehalten, wie er mir später vertraute, als jener weg war. ›Bruder‹, hat er gesagt, ›so geht's nicht, wo soll das hinaus, und was stellst du an? Du bringst die Dirn ins Gerede mit dir, und wäre ich Kestner, bei Gott, mir gefiel's nicht. Besinne dich, Bruder!‹ – Und wissen Sie, was er ihm geantwortet hat? ›Ich bin {121} nun der Narr‹, hat er gesagt, ›das Mädchen für was Besondres zu halten, und wenn sie mich betrügt‹ (wenn ich – ihn betröge, hat er gesagt), ›wenn sie sich ordinär erwiese und den Kestner zum Fond ihrer Handlung hätte, um desto sicherer mit ihren Reizen zu wuchern, – der Augenblick, der mir das entdeckte, der erste, der sie mir näher brächte, wäre der letzte unsrer Bekanntschaft.‹ – Was meinen Sie dazu?«
»Das ist eine sehr edle und zarte Antwort«, sagte Riemer mit niedergeschlagenen Augen, »die von dem Vertrauen zeugt, welches er in Sie setzte, daß Sie nämlich seine Huldigungen nicht mißverstünden.«
»Nicht mißverstünden. Ich mühe mich noch heute, sie nicht mißzuverstehen, aber wie versteht man sie recht? Nein, er mochte ruhig sein, ich dachte durchaus nicht daran, mit meinen Reizen zu wuchern auf dem Fond meiner Verlobtheit, dazu war ich zu dumm oder, wenn er wollte, nicht ordinär genug. Aber hatte nicht umgekehrt er den Kestner und mein Verlöbnis mit ihm zum Fond seiner Handlung und seiner Leidenschaft, welche einer Gebundenen galt, der es verwehrt war, ihm ›näher zu
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