Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
nicht angehen, von ihren Schattenrissen Kenntnis zu nehmen … Verstehen Sie nach all dem, was es besagen will: die Liebe zu einer Braut – und in wiefern es zum Gegenstand langjährigen Kopfzerbrechens werden kann? Es wurde mir dazu, weil mir dabei ein Wort nicht von der Hand zu weisen gelang und ich beim besten Willen, trotz aller Scheu, nicht immer darum herum zu kommen wußte: das Wort ›Schmarutzertum‹«…
Sie schwiegen. Der Kopf der alten Dame zitterte. Riemer schloß die Augen, und auch seine Lippen preßte er eine Weile zusammen. Dann sagte er mit betonter Ruhe:
»Als Sie den Mut fanden, dies Wort auszusprechen, durften Sie darauf rechnen, daß es mir nicht an Mut fehlen werde, es zu vernehmen. Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage, daß das Erschrecken, das uns einen Augenblick verstummen ließ, nur das Erschrecken vor den göttlichen Beziehungen und Anklängen ist, die diesem Wort innewohnen – und die Ihnen bestimmt nicht entgingen, als Sie es von den Lippen ließen. Sie finden mich ganz auf der Höhe dieses Gedankens – ich bitte, darüber beruhigt zu sein. Es gibt ein göttliches Schmarutzertum, ein Sich niederlassen der Gottheit auf menschlicher Lebensgründung, unserer Vorstellung wohl vertraut, ein göttlich schweifendes Partizipieren an irdischem Glück, die höhere Erwählung einer hier schon Erwählten, die Liebesleidenschaft des Götterfürsten für das Weib eines Menschenmannes, der fromm und ehrfürchtig genug ist, sich durch solche Teilhaberschaft nicht verkürzt und erniedrigt, sondern erhöht und geehrt zu fühlen. Sein Vertrauen, seine Gelassenheit führt sich eben auf die vagierende Göttlichkeit des Teilhabers zurück, welcher unbeschadet der Ehrfurcht und frommen Bewunderung, die sie {118} erregt, eine gewisse reale Bedeutungslosigkeit innewohnt, – was ich erwähne, weil Sie von ›Nicht ernst nehmen‹ sprachen. Das Göttliche ist tatsächlich nicht ganz ernst zu nehmen – sofern es nämlich im Menschlichen hospitiert. Mit Recht kann der irdische Bräutigam sich sagen: ›Laß gut sein, es ist nur ein Gott‹, – wobei das ›nur‹, versteht sich, von dem redlichsten Gefühl für die höhere Natur des Mitliebenden erfüllt sein mag.«
»Das war es, mein Freund, es war erfüllt davon, nur zu sehr, so nämlich daß Kestnern, meinem Guten, öfters Skrupel und Zweifel anzumerken waren, ob er denn auch wohl vor der höheren, wenn auch nicht ganz ernst zu nehmenden Leidenschaft des Anderen des Besitzes würdig sei, ob er mich würde glücklich zu machen vermögen wie jener und nicht lieber, wenn auch mit lebhaftesten Schmerzen, die Resignation wählen solle. Ich gestehe, es gab Stunden, wo ich nicht aufgelegt, nicht von ganzem Herzen bereit und willens war, ihm diese Skrupel zu nehmen. Und dies alles, Doktor, merken Sie wohl! dies alles, obwohl wir eine geheime Ahnung mit einander hegten, daß es sich bei dieser Leidenschaft, soviel Leiden sie bringen mochte, um eine Art von Spiel handelte, auf das gar kein menschlich Bauen war, um etwas wie ein Herzensmittel zu außerwirklichen – wir durften es kaum denken: zu außermenschlichen Zwecken.«
»Meine Teuerste«, sagte der Famulus bewegt und zugleich warnend-belehrend – er hob sogar den ringgeschmückten Zeigefinger empor – »die Poesie ist nichts Außermenschliches, ihrer Göttlichkeit ungeachtet. Seit neun plus vier Jahren bin ich ihr Handlanger und Geheimsekretär, ich habe im vertrauten Umgang mit ihr manche Erfahrung über sie gesammelt, ich darf über sie mitreden. In Wahrheit ist sie ein Mysterium, die Menschwerdung des Göttlichen; sie ist tatsächlich ebenso menschlich wie göttlich – ein Phänomen, das an die tiefsten {119} Geheimnisse unserer christlichen Glaubenslehre gemahnt – und an reizend Heidnisches überdies. Denn möge der Grund nun ihre göttlich-menschliche Doppeltheit sein oder dies, daß sie die Schönheit selber ist, – genug, sie neigt auf eine Weise zur Selbstbespiegelung, die uns das alte, liebliche Bild des Knaben assoziieren läßt, der sich entzückt über den Widerschein seiner eigenen Reize neigt. Wie in ihr die Sprache lächelnd sich selber anschaut, so auch das Gefühl, der Gedanke, die Leidenschaft. Selbstgefälligkeit mag in bürgerlichen Unehren stehen, aber auf höheren Rängen, meine Beste, weiß ihr Name von tadelndem Beiklang nichts mehr – wie sollte das Schöne, die Poesie sich auch nicht selbst gefallen? Sie tut es noch in der leidendsten Leidenschaft und ist
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