Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Eigenschaften mehrerer hübscher Kinder seine Lotte zu bilden; aber die Hauptzüge, fügt er hinzu, seien von der Geliebtesten genommen, – der Geliebtesten, teure Frau! Und wessen Haus und Herkunft, wessen Charakter, Erscheinung und frohe Lebenstätigkeit beschreibt er mit zärtlichster und keine Verwechslung zulassender Genauigkeit im – lassen Sie sehen! – im zwölften Buche? {124} Müßige mögen darüber streiten, ob es nur ein Modell zur Lotte Werthers oder mehrere gibt, – die Heldin einer der lieblich ergreifendsten Episoden im Leben des Heros, die Lotte des jungen Goethe, Verehrteste, ist jedenfalls nur Eine …«
»Das habe ich heute schon einmal gehört«, sagte sie lächelnd gerötet hinterm Schnupftuch hervorkommend. »Kellner Mager, dahier, erlaubte sich gelegentlich schon, es anzumerken.«
»Ich habe nichts dawider«, entgegnete Riemer gemessen, »die Einsicht in die lautere Wahrheit mit der Schlichtheit zu teilen.«
»Es ist im Grunde«, sagte sie mit leichtem Seufzer und tupfte sich die Augen, »eine so echauffierende Wahrheit nicht, ich sollt' es mir gegenwärtig halten. Eine Episode, versteht sich, hat an einer Heldin genug; der Episoden aber hat es eine Mehrzahl gegeben, – man sagt, es gibt ihrer noch. Es ist ein Reigen, in den ich mich füge –«
»– ein unsterblicher Reigen!« ergänzte er.
»– in den mich«, verbesserte sie, »das Schicksal gefügt hat. Ich will es nicht anklagen. Es war mir freundlicher als anderen von uns, denn es gönnte mir ein volles ersprießliches Eigenleben an der Seite des Wackeren, dem ich vernünftige Treue gehalten. Es gibt bleichere, traurigere Gestalten unter uns, die in einsamem Gram vergingen und unter einem frühen Grabhügel Frieden fanden. Wenn aber Jener schreibt, er habe sich von mir zwar nicht ohne Schmerz, aber doch mit reinerem Gewissen getrennt, als von Friedrike, so muß ich doch sagen: auch in meinem Fall hätte ihm schon das Gewissen ein wenig schlagen dürfen, denn nicht übel hatte er mir zugesetzt mit seiner ziellosen Werbung auf dem Fond meines Verlöbnisses und mir das Seelchen bis zum Zerspringen gespannt. Als er damals fort war und wir seine Zettel lasen; als wir uns wieder allein sahen, wir einfachen Leute, und unter uns, da war uns wohl traurig zu Mute, und nur von ihm mochten wir sprechen den ganzen Tag. Aber leicht war uns doch auch, – ja, erleichtert fühlten wir uns, {125} und ich weiß noch genau, wie ich damals meinte und mich in dem Glauben wiegte, nun sei der uns gemäße, der natürliche, rechte und friedliche Alltag wieder hergestellt und bei uns eingekehrt für immer. Ja, Prosit Mahlzeit! Da ging es erst an, denn es kam das Buch, und ich wurde die unsterbliche Geliebte, – nicht die Einzige, Gott bewahre, es ist ja ein Reigen; aber die berühmteste, und nach der die Leute am meisten fragen. Und gehöre denn nun der Literärgeschichte, ein Gegenstand der Forschung und Wallfahrt und eine Madonnenfigur, vor deren Nische die Menge sich drängt im Dom der Humanität. Das war mein Los, und wenn Sie erlauben, so frage ich mich nur, wie ich dazu komme. Mußte denn auch der Junge, der mich versuchte und verwirrte jenen Sommer lang, so groß werden, daß ich so groß wurde mit ihm und mich festgehalten finde mein Leben lang unter der Spannung und in der schmerzenden Steigerung, in die seine ziellose Werbung mich damals versetzte? Was sind meine armen, törichten Worte, daß ich sie soll für die Ewigkeit gesagt haben? Als wir damals mit der Base zu Balle fuhren im Wagen und der Diskurs auf Romanen roulierte und danach auf dem Tanzplaisir, schwätzte ich etwas hin über dies und jenes, ohne mir träumen zu lassen, in Gottes Namen, daß ich für die Jahrhunderte schwätzte und daß es im Buche stehen werde für immer. Ich hätte doch sonst den Mund gehalten oder versucht, etwas zu sagen, was für die Unsterblichkeit ein bischen passender gewesen wäre. Ach, ich schäme mich, wenn ich's lese, Herr Doktor, schäme mich damit dazustehen in meiner Nische vor allem Volk! Hätte doch auch der Junge, wenn er denn schon ein Dichter war, meine Worte ein bischen idealischer und gescheiter herrichten sollen, daß ich besser mit ihnen bestünde als Nischenfigur im Dome der Menschheit, – es wäre doch seine Pflicht gewesen, wenn er mich schon hineinzog ungebeten in solche Ewigkeitswelt …«
Sie weinte wieder. Hat man es erst einmal getan, so sitzen die {126} Tränen locker. Abermals drückte sie, in ratloser
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