Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
Vom Netzwerk:
kommen‹? War nicht er es, der mich betrog und mich quälte mit seiner geniegespannten und meine Seele spannenden Anziehungskraft, der ich, wie er sicher war, nicht folgen durfte, wollte und konnte? Auch der lange Merck kam mal zu Besuch nach Wetzlar, – sein Freund, ich mochte ihn nicht, sah immer spöttisch drein und halb ergrimmt, ein widrig Gesicht, das mir das Innere zuschnürte, aber gescheit, und ihn liebt' er wirklich auf seine Art, wenn auch sonst keine Seele, das sah ich wohl und mußt' ihm denn doch auch wohl wieder gut sein deswegen. Nun, was der ihm gesagt hat, ist mir später auch zu Ohren gekommen. Denn wir waren beisammen zu Tanz und Pfänderspielen mit den Brandt'schen Mädeln, Annchen und Dorthelchen, vom Prokurator Brandt, die im vermieteten Haupthaus wohnten des Ordenshofes, meinen Nachbarinnen und {122} nahen Freundinnen. Dorthel war schön und groß, viel stattlicher als ich, die ich immer noch etwas spillerig war, trotz meiner Blüte zu Kestners Ehren, – und Augen wie Schwarzkirschen hatte sie, um die ich sie oft beneidete, weil ich wohl wußte, daß er im Grunde die schwarzen Augen liebte und ihnen eigentlich den Vorzug gab vor den wasserblauen. Nimmt sich also der Lange den Goethe vor und sagt zu ihm: ›Narr!‹ sagt er, ›was poussierst du um die Braut herum, Poussierstengel du, und verdirbst die Zeit? Da ist die Junonische, die Dorothea, die Schwarzaugige, um die nimm dich an, die wäre was für dich und ist frei und ungebunden. Dir aber ist nicht wohl, wenn du die Zeit nicht verdirbst!‹ – Annchen, Dorthels Schwester, hat es gehört und mir später berichtet. Er hat nur gelacht, berichtete sie, zu Merckens Worten und sich den Vorwurf des Zeitverderbs nicht anfechten lassen, – desto schmeichelhafter für mich, wenn Sie wollen, daß er der Meinung nicht war, mit mir die Zeit zu verderben und Dorthelchens Ungebundenheit nicht als einen Vorzug erachtete, der über meine Vorzüge ging. Vielleicht überhaupt nicht als einen Vorzug oder als einen, den er nicht brauchen konnte. Aber der Lotte im Buch hat er Dorthels schwarze Augen gegeben, – wenn's nur die ihren sind. Denn es heißt ja, sie kämen auch oder namentlich von der Maxe La Roche her, der Brentano in Frankfurt, bei der er soviel gesessen hat, als sie jung verheiratet war, bevor er den Werther schrieb, bis ihnen der Mann eine Szene machte, daß ihm die Lust verging, wieder ins Haus zu kommen. Deren Augen sollen es auch sein, sagen die Leute, und manche haben die Unverschämtheit zu sagen, Werthers Lotte habe von mir nicht mehr als von mancher anderen. Wie finden Sie das, Doktor, und wie urteilen Sie darüber als Mann der Schönen Wissenschaften? Ist es nicht ein starkes Stück und muß es mich nicht bitterlich kränken, daß ich am Ende gar wegen des bischen Augenschwärze die Lotte nicht einmal mehr sein soll?«
    {123} Riemer sah mit Bestürzung, daß sie weinte. In dem Gesicht der alten Dame, das sich in schräger Abwendung zu verbergen strebte, war das Näschen gerötet, ihre Lippen zitterten, und hastig nestelten ihre feinen Fingerspitzen in dem Ridikül nach dem Tüchlein, um damit den Thränen zuvorzukommen, die den rasch blinzelnden, vergißmeinnichtfarbenen Augen entquellen wollten. Es war aber wie früher schon einmal, der Doktor bemerkte es wieder: Sie weinte aus vorgeschütztem Grunde. Rasch und schlau hatte sie aus weiblichem Vexationsbedürfnis einen improvisiert, um ratlosen Thränen, die ihr längst nahe gewesen, Thränen über ein Unbegreifliches, deren sie sich schämte, einen simpler einleuchtenden, wenn auch ziemlich törichten Sinn unterzuschieben. Sie hielt eine kleine Weile das Tuch mit der hohlen Hand vor die Augen gepreßt.
    »Liebste, teuerste Madame«, sagte Riemer. »Ist es möglich? Kann eine so abgeschmackte Bezweifelung Ihres Ehrenstandes Sie berühren, Sie auch nur einen Augenblick bekümmern? Unsere Lage zu dieser Stunde, die Belagerung, deren geduldige und, wie ich meinen will, gutgelaunte Opfer wir sind, sollte Ihnen keinen Zweifel darüber lassen, in wem die Nation das wahre und einzige Urbild der ewigen Figur erblickt. Ich sage das, alsob ein Zweifel an dieser Ihrer Würde überhaupt noch bestehen könnte nach dem, was der Meister selbst im – erlauben Sie! – im dritten Teil seiner Bekenntnisse darüber gesagt. Muß ich Sie erinnern? Wie wohl ein Künstler, sagt er da freilich, eine Venus aus mehreren Schönheiten herausstudiere, so habe er sich die Erlaubnis genommen, an den

Weitere Kostenlose Bücher