Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
war. – Mager erwiderte:
» Demoiselle Schopenhauer .«
»Hm«, machte der Doktor. »Verehrteste, der Brave hier tat so unrecht nicht, diese Meldung über sich zu nehmen. Es handelt sich, wenn ich erläutern darf, um Adele Schopenhauer, ein wohl ausgebildetes junges Frauenzimmer von den besten Konnexionen, Tochter Madame Johanna Schopenhauers, einer reichen Witwe von Danzig, die seit einem Jahrzehnt bei uns lebt, – einer ergebenen Freundin des Meisters, übrigens Litteratorin {129} sie selbst und Inhaberin eines geistreichen Salons, wo der Meister zu Zeiten, als er dem Ausgehen noch geneigter war, gar häufig den Abend verbrachte. Sie hatten die Güte, unserem Austausche einiges Interesse zuzuschreiben. Sollten Sie sich aber davon nicht garzu ermüdet fühlen, und sollte eben noch Ihre Zeit es erlauben, so würde ich wohl die Empfehlung wagen, dem Fräulein einige Augenblicke zu schenken. Abgesehen von dem hohen Geschenk, das Sie einem empfänglichen jungen Herzen damit machen würden, wäre es, dafür möcht' ich mich verbürgen, eine Gelegenheit für Sie, über unsere Zustände und Verhältnisse manches zu profitieren, – eine bessere, unbedingt, als Ihnen durch die Konversation mit einem einsamen Gelehrten geboten war. Was diesen betrifft«, sagte er lächelnd, »so räumt er nun jedenfalls das Feld, – das viel zu lange behauptet zu haben er sich leider anklagen muß –«
»Sie sind zu bescheiden, Herr Doktor«, versetzte Charlotte. »Ich danke Ihnen für diese Stunde, die meinem Gedächtnis wert und wichtig bleiben wird.«
»Es waren zwei, allerdings«, bemerkte Mager, während sie Riemern die Hand reichte, der sich mit Gefühl darüber beugte. »Es waren zwei Stunden, wenn ich mir erlauben darf, das am Rand zu notieren. Und da auf diese Weise das Mittagessen sich etwas verzögert, würde es sich gewiß empfehlen, daß Frau Hofrätin, bevor ich Demoiselle Schopenhauer einführe, sich mit einer kleinen Collation wiederherstellten, einer Tasse Bouillon mit Biscuits oder einem anmutigen Gläschen Ungarwein.«
»Ich habe keinen Appetit«, sagte Charlotte, »und bin übrigens im Vollbesitz meiner Kräfte. Leben Sie wohl, Herr Doktor! Ich hoffe Sie noch zu sehen in den kommenden Tagen. Und er, Mager, bitt' er in Gottes Namen das Fräulein zu mir, – mit dem Bemerken aber, schärf' ich ihm ein, daß mir nur wenige Minuten bleiben, sie zu begrüßen, und daß auch diese ein kaum {130} noch zu verantwortender Raub an den lieben Verwandten sind, die mich erwarten.«
»Ganz wohl, Frau Hofrätin! – Dürfte ich nur eben erinnern: Appetitlosigkeit ist denn doch kein Beweis der Unbedürftigkeit. Wenn Frau Hofrätin mir gestatteten, auf meine Anempfehlung einiger Erfrischung zurückzukommen … Es würde Denselben gewißlich gut tun, sodaß Frau Hofrätin dann allenfalls auch geneigt wären, dem Vorschlag meines Freundes, des Stadtsergenten Rührich, näher zu treten … Er versieht mit einem Kameraden den Ordnungsdienst vor unserem Haus und war vorhin bei mir im Flur. Er meinte, das städtische Publikum würde leichter zum Abzuge zu bewegen sein und sich befriedigt zerstreuen, wenn es nur erst einmal einen Blick auf Frau Hofrätin hätte werfen dürfen, und Dieselben würden der Obrigkeit und der öffentlichen Disziplin einen Dienst erweisen, wenn Sie einwilligten, sich den Leuten nur einen Augenblick im Rahmen des Haustors oder auch am offenen Fenster zu zeigen …«
»Auf keinen Fall, Mager! Unter gar keinen Umständen! Das ist ein ganz lächerliches, absurdes Ansinnen! Will man wohl gar, daß ich eine Rede halte? Nein, ich zeige mich nicht, unter keiner Bedingung! Ich bin keine Potentatin …«
»Mehr, Frau Hofrätin! Mehr und Erhebenderes als das. Auf der heutigen Stufe unserer Kultur sind es nicht mehr die Potentaten, um derentwillen die Menge zusammenläuft; es sind die Sterne des Geisteslebens.«
»Unsinn, Mager. Lehr' er mich die Menge kennen und die nur allzu derben Motive ihrer Neugier, die mit Geist im Grunde erbärmlich wenig zu tun haben. Das sind Alfanzereien. Ich gehe aus, ohne rechts oder links zu sehen, wenn meine Visiten beendet sind. Aber von ›zeigen‹ kann keine Rede sein.«
»Frau Hofrätin haben allein zu befinden. Es ist nur schmerzlich, sich sagen zu müssen, daß Sie nach einer kleinen Erfri {131} schung die Dinge vielleicht in anderem Lichte gesehen hätten … Ich gehe. Ich benachrichtige Demoiselle Schopenhauer.«
Charlotte benutzte die knappen Minuten ihres
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