Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
Vom Netzwerk:
Seite kennt.«
    »Sie haben recht«, sagte Charlotte. »Sogar kenne ich ihn von dieser Seite und sehe wohl, daß er der Alte geblieben ist, will sagen: der Junge. Als wir jung waren, damals in Wetzlar, hatte er seine Freude an meinen kleinen Stickereien in farbiger Seide und ist mir bei manchem Entwurf meines Zeichenheftes für diese Dinge treu und emsig zur Hand gegangen. Ich erinnere mich an einen nie fertig gewordenen Liebestempel, auf dessen Stufen eine heimkehrende Pilgerin von ihrer Freundin begrüßt wurde, und an dessen Komposition er großen Anteil hatte …«
    »Himmlisch!« rief die Besucherin. »Was erzählen Sie da, liebste Frau Hofrätin! Bitte, bitte, erzählen Sie weiter!«
    {136} »Stehenden Fußes denn doch nun einmal gewiß nicht, Liebe«, erwiderte Charlotte. »Es könnte mir fehlen, daß ich vergäße, Sie zu bitten, es sich bequem zu machen, da ohnedies Ihre Aufmerksamkeit und diese lieben Gaben es mich nur desto peinlicher empfinden lassen, daß ich Sie so lange warten lassen mußte.«
    »Durchaus hatte ich darauf gefaßt zu sein«, versetzte Adele, indem sie neben der alten Dame auf einem Kanapee mit Fußbänken Platz nahm, »daß ich weder die einzige noch die erste Person sein würde, die den Cordon Ihrer Volkstümlichkeit durchbricht, um vor Ihr Angesicht zu gelangen. Sie waren in gewiß höchst interessanter Konversation begriffen. Ich habe Onkel Riemer bei seinem Weggang begrüßt …«
    »Wie, er ist Ihr …«
    »O, nicht doch. Ich nenne ihn so seit Kindertagen, wie ich alle so nannte und nenne, die ständige oder nur häufige Gäste von Mamas Sonntag- und Donnerstag-Thees waren: Meyers und Schützes und Falks und Baron Einsiedel, den Übersetzer des Terenz, Major von Knebel und Legationsrat Bertuch, der die Allgemeine Literaturzeitung gegründet hat, Grimm und Fürst Pückler und die Brüder Schlegel und die Savigny's! Zu all diesen sagte und sage ich Onkel und Tante. Ich habe selbst Wieland Onkel genannt.«
    »Und nennen auch Goethen so?«
    »Den nun eben nicht. Aber die Geheime Rätin nannte ich Tante.« –
    »Die Vulpius?«
    »Ja, die jüngst dahingegangene Frau von Goethe, die er gleich nach seiner Vermählung mit ihr bei uns einführte, nur bei Mama, denn sonst war es überall mit der Einführung ein wenig schwierig. Man kann sogar sagen, daß der große Mann selbst fast nur bei uns verkehrte, denn wenn Hof und Gesellschaft ihm das freie Zusammenleben mit der Seligen nachgesehn hatte – das gesetzliche gerade verschnupfte sie.«
    {137} »Auch die Baronin von Stein«, fragte Charlotte, deren Wangen sich leicht gerötet hatten, »war wohl verschnupft?«
    »Sie am meisten. Wenigstens gab sie sich die Miene die Legalisierung des Verhältnisses besonders zu mißbilligen, während doch in Wahrheit das Verhältnis selbst ihr von jeher empfindlichen Kummer bereitet hatte.«
    »Man kann ihr das nachfühlen.«
    »O, gewiß. Aber andererseits war es ein schöner Zug von unserem Meister, daß er die arme Person zu seiner rechten Gemahlin machte. Sie hatte ihm in den schrecklichen Franzosentagen anno 6 treulich und tapfer zur Seite gestanden, und ausdrücklich fand er, zwei Menschen, die das mit einander durchgemacht, gehörten zusammen vor Gott und den Menschen.«
    »Ist es wahr, daß ihre Conduite manches zu wünschen ließ?«
    »Ja, sie war ordinär«, sagte Adele. »De mortuis nil nisi bene, aber ordinär war sie in hohem Grade, gefräßig und plusterig mit hochroten Backen und tanzwütig und liebte auch die Bouteille über Gebühr, – immer mit Komödiantenvolk und jungen Leuten, als sie selbst schon nicht mehr die Jüngste war, immer Redouten und Traktamente und Schlittenfahrten und Studentenbälle, und da kam es denn vor, daß die Jenenser Burschen der Geheimen Rätin allerhand Polissonerieen glaubten machen zu dürfen.«
    »Und Goethe tolerierte ein solches Gebahren?«
    »Er drückte ein Auge zu und lachte auch wohl darüber. Vielleicht war es das Weiseste, was er tun konnte. Man kann sogar sagen, daß er dem losen Wandel der Frau in gewissem Grade Vorschub leistete, – ich möchte annehmen: aus dem Grunde, weil er das Recht daraus ableitete, sich die Freiheit des eigenen Gefühls zu salvieren. Ein Dichtergenie kann seine belletristischen Inspirationen nun wohl einmal nicht ausschließlich aus seinem Eheleben schöpfen.«
    {138} »Sie verfügen über sehr großzügige, sehr starkgeistige Gesichtspunkte, mein liebes Kind.«
    »Ich bin Weimaranerin«, sagte Adele. »Amor gilt

Weitere Kostenlose Bücher