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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Alleinseins, um zum Fenster zu gehen und sich durch den Mull-Vorhang, den sie mit der Hand zusammenhielt, zu überzeugen, daß auf dem Platze noch alles beim Alten war und die Belagerung des Hôtel-Einganges sich kaum verringert hatte. Ihr Kopf zitterte stark beim Hinauslugen, und von den lang dauernden Abenteuern des Gesprächs mit dem Famulus standen ihre Wangen in hoch-rosiger Glut. Sie legte, sich umwendend, die Fingerrücken beider Hände daran, um von außen die Wärme zu prüfen, die ihr die Augen trübte. Übrigens hatte sie nicht fälschlich erklärt, daß sie sich frisch und munter fühle, mochte sie sich von der etwas hektischen Natur dieser Munterkeit auch halb und halbe Rechenschaft geben. Eine gelockerte Mitteilsamkeit und fiebrig entfesselte Redseligkeit beherrschte sie, eine ungeduldige Lust zu weiterem Gespräch und das fast übermütige Bewußtsein einer nicht alltäglichen Geläufigkeit des Mundes, die auch dem Heikelsten gewachsen war. Mit einer gewissen Begier blickte sie auf die Thür, die sich vor neuem Besuch öffnen sollte. –
    Adele Schopenhauer, von Mager eingelassen, versank in tiefem Knix, aus dem Charlotte, die ihr die Hand bot, sie freundlich emporhob. Die junge Dame, Anfang zwanzig nach Charlottens Schätzung, war recht unschönen, aber intelligenten Ansehens, – ja, schon die Art, wie sie vom ersten Augenblick an und dann immerfort das doch unverkennbare Schielen ihrer gelb-grünen Augen, teils durch häufigen Lidschlag, teils durch hurtiges Umher- und namentlich Emporblicken, zu verbergen suchte, erweckte den Eindruck einer nervösen Intelligenz, und ein zwar breiter und schmaler, aber klug lächelnder und sichtlich in gebildeter Rede geübter Mund, konnte die hängende Länge der Nase, den ebenfalls zu langen Hals, die betrüblich {132} abstehenden Ohren übersehen lassen, neben denen gelockte accroche-cœurs unter dem mit Röschen umkränzten, etwas genialisch geformten Strohhut hervorkamen und in die Wangen fielen. Die Gestalt des Mädchens war dürftig. Ein weißer, aber flacher Busen verlor sich in dem kurzärmeligen Batist-Mieder, das in offener Krause um die mageren Schultern und den Nacken stand. Durchbrochene Halbhandschuhe, am Ende der dünnen Arme, ließen ebenfalls dürre, rötliche Finger mit weißen Nägeln frei. Sie umfaßte damit, außer dem Griff ihres Sonnenschirms, auch die in Seidenpapier gehüllten Stengel einiger Blumen nebst einem rollenförmigen Päckchen.
    Sogleich begann sie zu sprechen, schnell, tadellos, ohne Pause zwischen den Sätzen und mit der Gewandtheit, deren Charlotte sich gleich von ihrem gescheiten Munde versehen hatte. Er wässerte etwas dabei, sodaß es mit der fließenden, leicht sächsisch gefärbten Rede tatsächlich wie geschmiert ging und Charlotte sich einer heimlichen Besorgnis nicht erwehren konnte, ob auch ihre eigene entfachte Mitteilungslust dabei auf ihre Rechnung kommen würde.
    »Frau Hofrätin«, sagte Adele, »– wie dankbar ich bin, daß Ihre Güte mir sogleich das Glück gewährt, Ihnen meine Huldigung darzubringen, – dafür fehlen mir die Worte.« Ohne Pause weiter: »Ich tue es nicht nur für meine eigene bescheidene Person, sondern auch im Namen, wenn auch nicht im Auftrage – für einen solchen Beschluß gab es noch keine Möglichkeit – unseres Musenvereins, – dessen Geist und schönes Zusammenstehen sich übrigens anläßlich des entzückenden Ereignisses Ihrer Gegenwart glänzend bewährt hat – insofern, als eines unserer Mitglieder, meine geliebte Freundin die Comtesse Line Egloffstein es war, die mir ungesäumt die beflügelnde Nachricht überbrachte, nachdem sie sie erst eben von ihrer Zofe vernommen. Mein Gewissen raunt mir zu, daß ich Muselinen – verzeihen Sie, das ist der Vereinsname Line Egloffsteins, wir {133} haben alle solche Namen, Sie würden lachen, wenn ich sie Ihnen sagte – daß ich Linen von meinem vorhabenden Schritt wohl dankbarer Weise hätte verständigen müssen; denn wahrscheinlich hätte sie sich ihm angeschlossen. Aber erstens habe ich tatsächlich den Beschluß dazu erst nach ihrem Weggang gefaßt, und zweitens hatte ich schwerwiegende Gründe für den Wunsch, Sie, Frau Hofrätin allein in Weimar willkommen zu heißen und unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen … Dürfte ich mir erlauben, Ihnen diese wenigen Astern, Rittersporn und Petunien nebst dieser bescheidenen Probe hiesigen Kunstfleißes zu überreichen?«
    »Mein liebes Kind«, erwiderte Charlotte

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