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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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von der edelsten vaterländischen Gesinnung. Ihm war durch jenen Tag der Schmach und der Zerstörung all seine Habe und wissenschaftlich Gerät vernichtet worden, sodaß er seine junge Frau in eine vollständig verödete, kalte und vom gräßlichsten Schmutze erfüllte Wohnung hatte wieder einführen müssen. Er ließ sich aber dadurch nicht niederbeugen – wie er denn laut verkündete, daß er, wäre die Schlacht nur gewonnen worden, jeden Verlust mit Freuden ertragen und auch als nackter Bettler den fliehenden Feinden würde nachgejubelt haben –, sondern blieb aufrecht im Glauben an die Sache des Vaterlandes, den er denn auch seinen Studenten aufs feurigste mitzuteilen wußte. – Da war ferner hier in Weimar der {155} Gymnasialprofessor Passow, ein Mecklenburger von breiter und kräftiger Sprechweise, erst einundzwanzigjährig, grundgelehrt und dabei von hohem Gedankenschwunge getragen, begeistert für Vaterland und Freiheit. Er lehrte das Griechische (auch meinen Bruder Arthur, der damals bei ihm wohnte, führte er privatim darin ein), Aesthetik und Philosophie der Sprache; die neue und eigentümliche Idee seines Unterrichts aber bestand darin, eine Brücke zu schlagen zwischen Wissenschaft und Leben, vom Kult des Altertums zu einer deutsch-vaterländischen und bürgerlich-freiheitlichen Gesinnung, – mit anderen Worten: in der lebendigen Deutung und Nutzanwendung hellenischen Wesens auf unsere politische Gegenwart.
    Mit solchen Männern also hielt Ottilie unter der Hand eine verstohlene, fast möchte ich sagen: konspiratorische Gemeinschaft. Zugleich aber führte sie das Leben eines eleganten Mitgliedes unserer franzosenfreundlichen, dem Imperator ergebenen Ober-Gesellschaft, – und ich habe mich nie des Eindrucks erwehren können, daß sie diese Doppel-Existenz, an der ich als ihre Freundin und Vertraute teilhatte, mit einem gewissen Sybaritismus genoß, ihr einen romantischen Reiz abzugewinnen wußte. Es war der Reiz des Widerspruchs, und er spielte meiner Meinung nach eine wichtige, eine beklagenswerte Rolle bei dem Gefühlsabenteuer, worein ich mein Herzblatt nun schon seit vier Jahren verstrickt sehen muß und aus dessen Schlingen sie zu erretten ich mein Alles gäbe.
    Zu Anfang vom Jahre des russischen Feldzuges war es denn, daß August von Goethe sich um Ottiliens Liebe zu bewerben begann. Vor Jahresfrist war er von Heidelberg zurückgekehrt und fast sogleich in den Hof- und Staatsdienst getreten: Er war Hofjunker, war wirklicher Assessor beim herzoglichen Kammer-Kollegium. Aber die ›Wirklichkeit‹ der mit diesen Aemtern verbundenen Pflichten war nach Serenissimi Willen rücksichtsvoll eingeschränkt, sie hatten sich in Einklang zu halten {156} mit Augusts Gehilfenschaft bei seinem großen Vater, den er von allerlei Tagesplage und wirtschaftlichen Quisquilien zu entlasten, bei gesellschaftlichen Formalitäten und selbst bei Aufsichtsreisen nach Jena zu vertreten hatte, und dem er als Kustos seiner Sammlungen, als Sekretär zur Hand ging, zumal da Dr. Riemer zu jener Zeit das Haus verließ, um mit der Gesellschafterin der Geheimenrätin, Demoiselle Ulrich, die Ehe einzugehen.
    Der junge August unterzog sich diesen Obliegenheiten mit Genauigkeit, ja – soweit sie hausväterlicher Art waren – mit einer rechnerischen Pedanterie, die der Trockenheit – ich sage für den Augenblick nur: Trockenheit und möchte doch fast ergänzen: der geflissentlichen und betonten Trockenheit seines Charakters entsprach. Offen gestanden verspüre ich keine Eile, auf das Geheimnis dieses Charakters einzugehen, – ich verschiebe es aus einer gewissen Scheu, die sich aus Mitleid und Abneigung eigentümlich genug zusammensetzt; und weder war noch bin ich die Einzige, der der junge Mann diese Empfindungen einflößte: Riemer zum Beispiel – er hat es mir selbst bekannt – hegte schon damals einen wahren Schrecken vor ihm, und sein Entschluß zur Gründung eines eigenen Hausstandes wurde sehr beschleunigt durch die Rückkehr seines ehemaligen Schülers ins Elternhaus.
    Ottilie hatte zu jener Zeit begonnen, an Hof zu gehen, und es mag wohl sein, daß August erstlich dort ihre Bekanntschaft machte. Doch auch am Frauenplan, bei den sonntäglichen Hauskonzerten, die der Geheimerat einige Jahre lang unterhielt, und bei den Proben dazu kann das geschehen sein. Denn zu den Reizungen und natürlichen Verdiensten meiner Freundin gehört eine lieblich klare Singstimme, die ich das körperliche Ausdrucksmittel und

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