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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Selbstbewußtsein, seiner Männlichkeit zehrten. Sein Bildungsgang war recht frei, recht locker und nachsichtsvoll gewesen. Die Aemter, die er bekleidete, waren ihm zugefallen, ohne daß er sich über seine Kenntnisse, seine Fähigkeiten erst viel auszuweisen gehabt hätte; er war sich bewußt, sie nicht eigener Tüchtigkeit, sondern der Günstlingsschaft zu verdanken. Ein anderer hätte an solchem Getragensein seine selbstgefällige Freude gehabt; was ihn anging, so war er geschaffen, darunter zu leiden. Das war ehrenhaft; nur daß er freilich jene Avantagen ja keineswegs von sich gewiesen hatte.
    Vergessen wir auch das andere nicht! Vergessen wir nicht, daß August nicht nur der Sohn seines Vaters, sondern auch der seiner Mutter war, der Sohn der Mamsell, und daß dies eine eigentümliche Zerrissenheit in seine Stellung zur Welt wie in sein Selbstgefühl bringen mußte, einen Widerstreit von Auszeichnung dieser und jener Art, von Noblesse und hybrider Unordentlichkeit der Geburt. Daran änderte nichts, daß der Herzog schon den Elfjährigen auf Ersuchen seines Freundes, des Vaters, propter natales mit einem Legitimationsdekret begnadet hatte, womit der Adelstitel verbunden war; auch nichts, {162} daß sechs Jahre später die Trauung der Eltern vollzogen wurde. ›Ein Kind der Liebe‹: das saß ebenso fest in den Köpfen – und wohl auch in dem seinen – wie ›der Sohn des Einzigen‹. Einmal hatte er eine Art von Skandal erregt, da er, reizend mit seinen dreizehn Jahren, bei einer Redoute zu Ehren des Geburtstags der Herzogin, als Amor maskiert, der hohen Frau Blumen und Verse hatte bringen dürfen. Es waren Proteste laut geworden: Ein Kind der Liebe, hieß es, hätte nicht dürfen als Amor unter honetten Leuten erscheinen. War die Rüge zu ihm gedrungen? Ich weiß es nicht. Aber ähnliche Widerstände mögen ihm später im Leben öfters aufgestoßen sein. Seine Stellung war gedeckt durch den Ruhm, die Autorität seines Vaters, die Gnade des Herzogs für diesen; aber sie blieb zweideutig. Er hatte Freunde – oder was man so nennt – vom Gymnasium, vom Amte, vom Hofdienst her. Einen Freund hatte er nicht. Er war zu mißtrauisch dazu, zu verschlossen, allzu durchdrungen von seiner Sonderstellung im hohen und zweifelhaften Sinn. Sein Umgang war immer gemischt gewesen: Derjenige, den seine Mutter ihm nahebrachte, war ein wenig zigeunerhaft, – viel Schauspielervolk, viel zechfrohe Jugend, und unglaublich früh neigte er selbst zu geistigem Getränke. Unsere liebe Baronin von Stein hat mir erzählt, daß der elfjährige Junge in einem munteren Klub von der Klasse seiner Mutter nicht weniger als siebzehn Gläser Champagner getrunken und daß sie alle Mühe gehabt habe, ihn, wenn er sie besuchte, vom Weine abzuhalten. Es sei, meinte sie – so sonderbar sich das von einem Kinde aussagt –, der Drang gewesen, seinen Kummer zu vertrinken, – einen Kummer bestimmten Anlasses allerdings, denn er hatte damals den Choc erfahren, seinen Vater bei seinem Anblick weinen zu sehen. Es war die schwere Krankheit des Meisters vom Jahre 1800, der Krampfhusten, die Blatterrose, die ihn an den Rand des Grabes brachten. Mühsam genesend, weinte er viel vor Schwäche; besonders aber weinte er, sobald er des Kna {163} ben ansichtig wurde, – und dieser denn fand es wohltätig danach, seine siebzehn Gläser zu nehmen. Gar viel hätte übrigens sein Vater wohl nicht dagegen zu erinnern gehabt, denn sein Verhältnis zur Gottesgabe des Weines war wohlig-heiter von je, und zeitig gönnte er sie auch dem Sohn. Wir anderen freilich können nicht umhin, so manches Mißliche in Augusts Charakter, das Auffahrende, Trübe und Wilde, Rohe darin, seiner frühen und leider immer wachsenden Neigung für die Freuden des Bacchus zur Last zu legen. –
    In diesem jungen Manne also, der ihr seine nicht eben anmutigen, nicht eben unterhaltsamen Huldigungen darbrachte, glaubte die liebliche Ottilie den ihr Vorbestimmten, die Verkörperung ihres Schicksals zu erkennen. Sie glaubte ihn wiederzulieben, so unwahrscheinlich das war, oder, wie ich sagte, eben weil es so unwahrscheinlich war. Ihr Edelmut, ihr poetischer Sinn für das Tragisch-Besorgniserregende seiner Existenz war ihr behilflich in diesem Glauben. Sie träumte sich als die Erlöserin seines Dämons, als seinen guten Engel. Ich sprach von dem romantischen Reiz, den sie ihrem Doppelleben als Weimarer Gesellschaftsdame und heimliche preußische Patriotin abzugewinnen wußte. Die Liebe

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