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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Instrument ihrer musikalischen Seele nennen möchte, und ihr verdankte sie die Berufung in das kleine Sängerchor, das einmal die Woche im Goethe'schen {157} Hause seine Übungen abhielt und sich an den Sonntagmittagen unter Tafel und nachher vor den Gästen produzierte.
    In diesen Vorzug eingeschlossen war derjenige der persönlichen Berührung mit dem großen Dichter, der, man kann sagen: von Anbeginn ein Auge auf sie hatte, gern mit ihr plauderte und scherzte und sein väterliches Wohlwollen für das ›Persönchen‹, wie er sie nannte, auf keine Weise verhehlte … Ich glaube, ich habe Ihnen von dem Zauber ihrer Erscheinung noch gar kein Bild zu geben versucht – wie sollte ich auch, das malt sich mit Worten nicht, – und doch fällt die Besonderheit dieses Mädchenreizes hier gar sehr ins Gewicht, sie ist von entschiedener Bedeutung. Ein blaues, sprechendes Auge, das reichste Blondhaar, eine eher kleine, nichts weniger als junonische, sondern zierlich leichte und liebliche Gestalt – kurzum, es ist der Typus, der von jeher das Glück hatte, einem persönlichen Geschmacke zu schmeicheln, vor dem zu bestehen zu den höchsten Ehren im Reich des Gefühls und der Dichtung führen kann. Ich sage nichts weiter. Ich erinnere höchstens noch daran, daß es mit einer allerliebst mondainen Abwandlung dieses Typus bekanntlich einmal zu einer berühmten Verlobung kam, die keine Folgen hatte, aber das Aergernis aller Hüter gesellschaftlicher Distanzen gebildet haben soll.
    Wenn nun der Sohn des flüchtigen Bräutigams von damals sich um die liebliche Ottilie zu bemühen begann, – der uneheliche Sproß eines sehr jungen Adels um eine von Pogwisch-Henckel-Donnersmarck –, so lag unleugbar für die aristokratische Beschränktheit ein ähnliches Aergernis vor wie einst in Frankfurt; nur, daß es nicht laut werden durfte von wegen der völlig außerordentlichen Lagerung des Falles, der ganz besonderen Ansprüche, die dieser majestätische Neu-Adel nun einmal stellen durfte und die er denn auch für den Sohn mit Bewußtsein und Genugtuung geltend zu machen gesonnen sein mochte. Ich spreche hier nur meine persönliche Meinung {158} aus, aber sie beruht auf schmerzlich genauer Beobachtung des Hergangs und dürfte nicht trügen. Sie geht dahin, daß der Vater der Erste war, der sich für Ottilien interessierte, und daß erst die Gunst, die er ihr erwies, die Aufmerksamkeit des Sohnes auf sie lenkte, – eine Aufmerksamkeit, die rasch zur Leidenschaft wurde, und mit der er denn also denselben Geschmack bekundete wie sein Vater, – er tat das ja auch sonst in so manchen Stücken, – wenigstens scheinbar; denn in Wahrheit handelte es sich um Abhängigkeit und Übernahme, und unter uns gesagt hat er selbst überhaupt keinen Geschmack, was er in seinem Verhältnis zum Weiblichen sogar am allerklärsten bewiesen hat. Doch davon später und immer noch früh genug! Viel eher möchte ich von Ottilien sprechen.
    Den Zustand zu bezeichnen, worin das liebe Geschöpf zur Zeit ihrer ersten Begegnung mit Herrn von Goethe lebte, möchte das Wort ›Erwartung‹ das treffendste sein. Sie hatte Hofmacher gehabt schon in zartem Alter und manche Huldigung empfangen, der sie sich spielerisch halb und halb entgegengeneigt hatte. Wahrhaft geliebt hatte sie noch nicht, und sie erwartete ihre erste Liebe; ihr Herz war gleichsam geschmückt zum Empfange des allbezwingenden Gottes, und in den Gefühlen, die dieser so ganz besondere, unregelmäßig hochgeborene Bewerber ihr einflößte, glaubte sie seine Macht zu erkennen. Ihre Verehrung für den großen Dichter war selbstverständlich die tiefste; die Gunst, die er ihr erwies, schmeichelte ihr unendlich, – was Wunder, daß die Werbung des Sohnes, die mit der offenkundigen Billigung des Vaters und sozusagen in seinem Namen geschah, sie unwiderstehlich dünkte? Es war ja, alsob, durch die Jugend des Sohnes, verjüngt in ihm, der Vater selbst um sie würbe. Der ›junge Goethe‹ liebte sie, – sie zögerte kaum, den Erwecker, den Mann ihres Schicksals in ihm zu sehen, sie zweifelte nicht, ihn wiederzulieben.
    Mir scheint: sie war davon desto überzeugter, je unwahr {159} scheinlicher sie sich selbst von ihrer Neigung, von der Gestalt angemutet fühlte, in der das Schicksal ihr erschien. Was sie von der Liebe wußte, war, daß sie eine launische, eine unberechenbare Macht war, eine souveräne vor allem, die gern der Vernunft ein Schnippchen schlug und unabhängig von Urteilen des Verstandes

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