Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
mir das Anerkenntnis leicht – war Ottilie, dank der entschiedenen Eigenart ihres Charakters, der frühzeitigen Ausgeprägtheit ihrer Gesinnungen, bei diesem Bunde der führende, geistig bestimmende Teil.
Dies gilt besonders von den politischen Dingen, welche heute, da unsere Welt nach schwersten Prüfungen und Erschütterungen, worein das Schicksal jenes geniale Ungeheuer sie zu stürzen ermächtigte, zu leidlicher Ruhe zurückgekehrt ist und im Schutze heiliger Ordnungsmächte liegt, wohl in dem öffentlichen und individuellen Bewußtsein mehr zurücktreten und dem Rein-Menschlichen größeren Raum lassen, damals aber mit fast ausschließlicher Gewalt den seelischen Schauplatz beherrschten. Ottilie war ihnen leidenschaftlich ergeben und zwar in einem Sinn und Geist, der sie von ihrer gesamten Umgebung im Innersten absonderte, ohne daß sie von dieser ihrer geheimen Oppositionsstellung etwas hätte laut werden lassen dürfen – es sei denn gegen mich, ihre Vertraute, die sie ebenfalls mit ihren Empfindungen, ihrer Denkungsart zu erfüllen wußte, und die sie ganz in die Welt ihres Glaubens, ihrer Hoffnungen hineinzog, um mit ihr gemeinsam den schwärmerischen Reiz des Geheimnisses zu genießen.
Welches Geheimnisses? Inmitten des Rheinbundstaates, dessen Herzog von dem siegreichen Dämon Verzeihung emp {153} fangen und als sein getreuer Vasall das Land regierte; wo alles in lange nicht zu erschütternder Gläubigkeit dem Genius des Eroberers anhing und seiner Sendung als Weltenordner und Organisator des Kontinents, wenn nicht mit Enthusiasmus, so doch in Ergebung vertraute, – war meine Ottilie eine begeisterte Preußin. Unbeirrt durch die schmähliche Niederlage der preußischen Waffen, war sie durchdrungen von der Superiorität des Menschenschlages im Norden über den sächsisch-thüringischen, unter dem zu leben sie, wie sie sich ausdrückte, verurteilt war und dem sie eine notgedrungen verschwiegene, nur mir vertraute Geringschätzung widmete. Die heroisch gestimmte Seele dieses lieben Kindes war von einem Ideal beherrscht: es war der preußische Offizier. Unnütz zu sagen, daß dieses Kultbild mehr oder weniger deutlich die von der Erinnerung verklärten Züge des verlorenen Vaters trug. Und doch wirkten hier allgemeinere sympathetische Empfindlichkeiten und Empfänglichkeiten ihres Geblütes mit, die sie hellhörig machten für entfernte Vorgänge, von denen wir anderen noch unberührt waren, sie in wissenden Kontakt damit setzten und sie auf eine Weise teil daran zu nehmen befähigten, die mich prophetisch anmutete und sich bald in der Tat als prophetisch erwies.
Sie erraten unschwer, welche Vorgänge ich meine. Es war die sittliche Besinnung und Wiederaufrichtung, die im Lande ihrer Herkunft dem Zusammenbruch folgten; die entschlossene Verachtung, Verpönung und Ausmerzung all der zwar reizenden und verfeinernden, aber auch entnervenden Tendenzen, die zu jenem beigetragen, zu ihr hingeführt haben mochten; die heroische Reinigung des Volkskörpers von allem Flitter und Tand der Gesinnung und der Sitten und seine Stählung für den einstigen Tag des Ruhmes, der den Sturz der Fremdherrschaft, den Aufgang der Freiheit bringen würde. Es war die ernste Bejahung des ohnehin Verhängten: der Armut; und {154} wenn man denn aus der Not ein Gelübde machte, so galt dasselbe auch gleich den beiden anderen mönchischen Tugenden und Forderungen: der Keuschheit und dem Gehorsam; es galt der Entsagung, der Bereitschaft zum Opfer, der zuchtvollen Gemeinschaft, dem Leben fürs Vaterland.
Von diesem in der Stille sich abspielenden moralischen Prozesse also, dem Feinde und Unterdrücker ebenso unzugänglich wie die damit gleichlaufende geheime militärische Wiederherstellung, drang wenig Kunde in unsere der siegreichen Gesittung ohne viel Kummer, ja mit Überzeugung – wenn auch mit einigem Seufzen über die von dem Zwingherrn auferlegten Anforderungen und Lasten – angeschlossene Kleinwelt. In unserem Kreise, unserer Gesellschaft war es Ottilie allein, die in verschwiegener, enthusiastisch-empfindsamer Fühlung damit stand. Allein nahe und ferner gab es doch auch dieses und jenes gelehrte und mit einem Lehramt betraute Haupt, das, der jungen Generation angehörig, sich als Träger dieser Erneuerungsbewegung zu erkennen gab, und mit dem meine Herzensfreundin denn auch alsbald in einen eifrigen Austausch der Gedanken und Gefühle trat.
Da war in Jena der Geschichtsprofessor Heinrich Luden, ein trefflicher Mann
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