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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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ihr Recht behauptete. Sie hatte sich den Jüngling ihrer Wahl ganz anders vorgestellt: wohl mehr nach ihrem eigenen Bilde geschaffen, heiterer, leichter, froher, von hellerem Wesen, als August es war. Daß er so wenig dem vorgefaßten Bilde entsprach, erschien ihr als ein romantischer Beweis der Echtheit ihrer Neigung. August war kein sehr erfreuliches Kind, kein ungemein vielversprechender Knabe gewesen. Man hatte ihm kein langes Leben gegeben, und was seine Geistesanlagen betraf, so hatte unter Freunden des Hauses der Eindruck vorgeherrscht, man dürfe sich nicht garviel davon versprechen. Er hatte sich dann aus der halben Kränklichkeit seiner Frühzeit zu einem recht breiten und stattlichen Jüngling befestigt, – ein wenig schwer und düster von Ansehen, ein wenig lichtlos, möchte ich sagen und habe dabei vorzüglich seine Augen im Sinn, die schön waren oder eigentlich: es hätten sein können, wenn ihnen mehr Ausdruck, mehr Blick auch nur zu eigen gewesen wäre. Ich spreche von seiner Person in der Vergangenheit, um sie besser von mir abzurücken, sie gleichsam ungestörter beurteilen zu können. Aber alles, was ich von ihm sage, gilt von dem siebenundzwanzigjährigen jungen Manne in noch höherem Maß als von dem Jüngling, der er zur Zeit seiner ersten Bekanntschaft mit Ottilien war. Ein angenehmer, ein belebender Gesellschafter war er nicht. Sein Geist schien gehemmt durch Unlust, durch den Widerwillen davon Gebrauch zu machen, durch eine Melancholie, die man richtiger Hoffnungslosigkeit genannt hätte und die eine gewisse Oedigkeit um ihn ausbreitete. Daß dieser Mangel an Frohmut, dieser stumpfe Verzicht, seinem Sohnesverhältnis, der Furcht vor {160} dem immer drohend naheliegenden und entmutigenden Vergleich mit dem Vater entsprang, lag auf der Hand.
    Der Sohn eines Großen – ein hohes Glück, eine schätzbare Annehmlichkeit und eine drückende Last, eine dauernde Entwürdigung der eigenen Selbstheit doch auch wieder. Dem Knaben schon hatte der Vater ein Album geschenkt und eingeweiht, das sich im Lauf der Jahre, in Weimar hier und an den Plätzen, wohin er in Gesellschaft des Sohnes reiste: in Halle und Jena, in Helmstädt, Pyrmont und Karlsbad, mit den Eintragungen aller Berühmtheiten Deutschlands und selbst des Auslandes füllte. Kaum eine war darunter, die nicht auf die Eigenschaft des jungen Menschen gedrungen hätte, die seine unpersönlichste war, aber die fixe Idee aller bildete: seine Sohnschaft. Es mochte erhebend sein – obwohl auch zugleich recht einschüchternd für ein junges Gemüt –, wenn Professor Fichte, der Philosoph, hineinschrieb: ›Die Nation hat große Anforderungen an Sie, einziger Sohn des Einzigen in unsrem Zeitalter.‹ Aber wie soll man sich die Wirkung vorstellen, welche auf dieses Gemüt die bündige Sentenz übte, mit der ein französischer employé das Stammbuch versah: ›Selten zählen die Söhne eines großen Mannes in der Nachwelt‹? Sollte er es als Aufforderung nehmen, eine Ausnahme zu machen? Auch das war bedrückend. Es lag aber näher, es im Sinn der Inschrift zu verstehen, die Dante über den Eingang zur Hölle setzt.
    Den tötlichen Vergleich denn überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen, schien August mit unwirscher Entschiedenheit gesonnen. Ganz besonders lehnte er jede poetische Ambition, jede Beziehung zur Welt des schönen Geistes fast mit Erbitterung, ja grober Weise von sich ab und wollte ersichtlich für nichts anderes gelten, als für einen praktischen Alltagsmenschen, einen nüchternen Geschäfts- und Weltmann durchschnittlichen Verstandes. Sie werden sagen, daß in diesem entschlossenen und abweisenden Verzicht auf das Höhere, das er {161} nicht anstreben durfte, das er, wenn es keimweise in ihm vorhanden war, verleugnen und unterdrücken mußte, um nicht auf allen Seiten den fatalen Vergleich herauszufordern, ein gewinnender, ein achtenswerter Stolz erkennbar sei. Aber die Ungewißheit seiner selbst, seine Unzufriedenheit und Unlaune, sein Mißtrauen, seine Reizbarkeit waren nicht danach angetan, zu gewinnen und erlaubten schwerlich, ihn stolz zu nennen. Man muß wohl sagen: Er war es nicht mehr, er krankte an gebrochenem Stolze. Zu seinem gegenwärtigen Lebensstande war er mit Hilfe all der Erleichterungen gediehen, die seine Herkunft ihm gewährte – man sagte vielleicht richtiger: ihm aufdrängte. Er hatte sie sich gefallen lassen, ohne sie eigentlich zu billigen und ohne verhindern zu können, daß sie an seinem

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