Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
antwortete Charlotte, »und ich habe Sorge getragen, daß diese an sich sehr unbedeutenden Gegenstände konserviert und in guter Obhut gehalten werden. Ich habe meinen Bruder Georg dazu verpflichtet, der schon in den letzten Lebzeiten unseres seligen Vaters die Amtmannsstelle verwaltete und im Deutschordenshause sein Nachfolger geworden ist. Ihm habe ich diese Souvenirs ans Herz gelegt: den Tempel, einen und den anderen Spruch im Girlandenkranz, ein paar gestickte Täschchen, das Zeichenbuch und anderes mehr. Es ist ja nun einmal damit zu rechnen, daß ihnen in Zukunft ein musealer Wert zukommen wird, wie dem Hause und Hof überhaupt, der Wohnstube unten, wo wir soviel mit ihm zusammensaßen, und ebenso dem Eckzimmer oben, nach der Straße zu, das wir die Gute Stub nannten, mit den Götterfiguren in der Tapete und der alten Wanduhr, deren Zifferblatt eine Landschaft zeigte, und auf deren Tick-Tack und Schlagen er so oft mit uns lauschte. Diese Gute Stub eignet sich meiner Meinung nach sogar besser noch, als die Wohnstube, zum Museum, und wenn es nach mir geht, so vereinigt man dort jene Andenken unter Glas und Rahmen.«
»Die Nachwelt«, verhieß Adele, »die ganze Nachwelt, und nicht nur die vaterländische, sondern auch das pilgernde Ausland, wird Ihnen Ihre Fürsorge danken.«
{148} »Ich hoffe es«, sagte Charlotte.
Das Gespräch stockte. Die Civilisation der Besucherin schien zu versagen. Adele blickte zu Boden, wo sie die Spitze ihres Sonnenschirms hin und her führte. Charlotte erwartete ihren Aufbruch, ohne ihn so lebhaft zu wünschen, wie die Lage es hätte erwarten lassen. Sie war sogar eher zufrieden, als das junge Mädchen so flüssig wie je wieder zu sprechen begann:
»Teuerste Hofrätin – oder darf ich wohl schon sagen: Ehrwürdige Freundin? – Meine Seele ist voller Selbstvorwürfe, und wenn der bedrückendste derjenige ist, das Geschenk Ihrer Zeit allzu skrupellos entgegenzunehmen, so kommt ihm der andere an Schwere fast gleich, daß ich dies Geschenk auch noch schlecht benutze … Ich vertue sträflich eine große Gelegenheit und muß an das Motiv des Volksmärchens denken – wir jungen Leute haben jetzt viel Sinn für die Poesie des Volksmärchens –, daß jemand durch Zaubergunst drei Wünsche frei hat und sich dreimal ganz Nebensächliches und Gleichgültiges wünscht, ohne des Besten, des Wichtigsten zu gedenken. So schwätze ich in scheinbarer Sorglosigkeit vor Ihnen von diesem und jenem und versäume darüber das Eigentliche, das mir am Herzen liegt und mich – lassen Sie mich das endlich gestehen! – zu Ihnen getrieben hat, weil ich seinetwegen auf Ihren Rat, Ihre Hilfe hoffe und baue. Sie müssen erstaunt, Sie müssen ungehalten sein, daß ich Sie mit Kindereien wie unserem Musenkränzchen zu unterhalten wage. Und doch wäre ich garnicht darauf gekommen, wenn nicht eben mit ihm die Sorge und Angst zusammenhinge, die ich so namenlos gern vertraulich vor Ihnen ausschüttete.«
»Was ist das für eine Sorge, mein Kind, und auf wen oder was bezieht sie sich?«
»Auf eine teure Menschenseele, Frau Hofrätin, eine geliebte Freundin, meine einzige, mein Herzblatt, das holdeste, edelste, des Glückes würdigste Geschöpf, dessen Verstrickung in ein {149} falsches, ein ganz und gar unnotwendiges und dennoch scheinbar unabwendbares Schicksal mich noch zur Verzweiflung bringen wird, – mit einem Worte: um Tillemuse.«
»Tillemuse?«
»Verzeihung, ja, das ist der Vereinsname meines Lieblings, ich ließ es früher schon einfließen – der Musenname meiner Ottilie, Ottiliens von Pogwisch.«
»Ah. Und von welchem Schicksal sehen Sie Fräulein von Pogwisch bedroht?«
»Sie steht vor ihrer Verlobung.«
»Nun, erlauben Sie … Und mit wem denn also?«
»Mit Herrn Kammer-Rat von Goethe.«
»Was Sie nicht sagen! Mit Augusten?«
»Ja, mit dem Sohn des Großen und der Mamsell. – Das Ableben der Geheimen Rätin ermöglicht eine Verbindung, die zu ihren Lebzeiten an dem Widerstand von Ottiliens Familie, dem Widerstand der Gesellschaft überhaupt gescheitert wäre.«
»Und worin sehen Sie das Apprehensive dieser Verbindung?«
»Lassen Sie mich Ihnen berichten!« bat Adele. »Lassen Sie mich erzählend mein bedrängtes Herz soulagieren und bei Ihnen bitten für ein liebes, gefährdetes Geschöpf, das mir solcher Fürbitte wegen wohl gar recht böse wäre, obgleich es sie so sehr benötigt als verdient!«
Und in öfterem raschem Aufblick zur Decke ihr Schielen verbergend begann
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