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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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zu August ließ sie diesen Reiz in neuer, verdichteter Form erfahren; der Widerspruch zwischen ihren Gesinnungen und denen des Hauses, dessen Sohn es ihr angetan, brachte die Paradoxie ihrer Leidenschaft auf ihren Gipfel und ließ sie ihr eben darum recht als Leidenschaft erscheinen.
    Ich muß nicht sagen, daß unser Geistesheld, der Stolz Deutschlands, der den Ruhm der Nation so herrlich gemehrt, weder den Gram edler Herzen über den Fall des Vaterlandes, noch den Enthusiasmus, der uns anderen allen fast die Seele sprengen wollte, als die Stunde der Befreiung zum Schlagen ansetzte, je irgend geteilt hat, daß er sich gegen beides kalt abweisend verhielt und uns sozusagen vor dem Feinde im Sti {164} che ließ. Das ist nicht anders. Man muß es vergessen und verschmerzen, es von der Bewunderung verzehren lassen, die man für seinen Genius –, von der Liebe, die man hegt für seine große Person. Das Unglück von Jena hatte auch ihm schwere Mißhelligkeiten gebracht, allerdings nicht erst vonseiten der siegreichen Franzosen, sondern schon vor der Schlacht, durch die lagernden Preußen, die in sein Gartenhaus eindrangen und dort Türen und Möbel zerschlugen, um ihre Feuer damit zu nähren. Aber auch von dem, was nachher kam, hat er sein Teil zu tragen gehabt. Man sagte, die Heimsuchung habe ihn gut und gern zweitausend Thaler gekostet, allein schon zwölf Eimer Weins, und Marodeurs belästigten ihn gar im Schlafzimmer. Geplündert jedoch war nicht bei ihm worden, denn bald bekam er Sauvegarde vors Haus, Marschälle logierten bei ihm, Ney, Augereau, Lannes, und endlich kam gar Monsieur Dénon, ihm wohlbekannt von Venedig, General-Inspektor der kaiserlichen Museen und Napoléons Ratgeber in Dingen der Kunst, das heißt: bei der Aneignung von Kunstwerken in den besiegten Ländern …
    Diesen Mann zum Quartiergast zu haben, war dem Meister sehr angenehm, – wie er denn nachmals Wert darauf zu legen schien, es so hinzustellen, als habe das Ganze ihn wenig berührt. Professor Luden, den es so schwer getroffen, hat mir einmal erzählt, wie er ihm vier Wochen nach stattgehabtem Graus bei Knebel begegnet sei, wo man denn von der großen Not gesprochen und Herr von Knebel ein übers andere Mal gerufen habe: ›Es ist greulich! es ist ungeheuer!‹ Goethe aber habe nur einige unverständliche Worte gemurmelt, und als Luden ihn darauf gefragt habe, wie denn Se. Exzellenz hindurchgekommen sei durch die Tage der Schmach und des Unglücks, habe jener geantwortet: ›Ich habe garnicht zu klagen. Wie ein Mann, der von einem festen Felsen hinab in das tobende Meer schaut und den Schiffbrüchigen zwar keine Hilfe {165} zu bringen vermag, aber auch von der Brandung nicht erreicht werden kann – und das soll nach irgend einem Alten sogar ein behagliches Gefühl sein –‹ Hier habe er dem Namen des Alten nachgedacht; aber Luden, der wohl Bescheid wußte, habe sich enthalten, ihm beizuspringen, während Knebel, trotz seiner vorherigen Ausrufungen, eingeschaltet habe: ›Nach Lukrez!‹ – ›Recht so, nach Lukrez‹, habe Goethe gesagt und geendigt: ›- so habe ich wohlbehalten dagestanden und den wilden Lärm an mir vorübergehen lassen.‹ Luden versicherte mir, eine Eiseskälte sei ihm über die Brust gelaufen bei diesen in der Tat mit einer gewissen Behaglichkeit ausgesprochenen Worten. Der Schauer aber habe ihn nachher noch mehrmals überkommen bei diesem Gespräch; denn da er noch einiges Bebende über des Vaterlandes Schmach und Not und über seinen heiligen Glauben an die Wiedererhebung desselben geäußert, habe zwar Knebel öfters ›Bravo! So recht!‹ gerufen, Goethe aber kein Wort gesagt und keine Miene verzogen, sodaß der Major, nachdem er nur eben seine Ausrufungen getan, das Gespräch auf etwas Literarisches gelenkt, Luden jedoch sich bald beurlaubt habe.
    So berichtete mir dieser vortreffliche Mann. Wie aber der Meister unserem Dr. Passow, dem Gymnasiallehrer, den Kopf wusch ob seiner Ansichten, das hab' ich mit eigenen Ohren gehört, denn es geschah im Salon meiner Mutter, und ich war als ganz junges Mädchen zugegen. Passow nämlich, der sehr gut sprach, hatte sich bewegten Wortes darüber ergangen, wie seine ganze Seele an dem Gedanken hänge, durch Enthüllung des hellenischen Altertums, durch Entwicklung des griechischen Geistes wenigstens im Gemüte von Einzelnen das herzustellen, was den Deutschen im Ganzen schmachvoll abhanden gekommen: Begeisterung für Freiheit und Vaterland. (Es ist dabei zu

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