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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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lassen, wo der junge Mann seine Freunde suchte, und zweitens, weil dieser Herr von Wolbock es war, der Dezember 12, als Napoléon, von Moskau kommend, Erfurt passierte, Goethen den Gruß des Kaisers ausrichtete. Das war denn etwas für Augusten auch, denn allezeit trieb er mit der Person des Tyrannen einen wahren Kult, – der ihm für mein Gefühl nicht recht zukam, denn wieso, diese Anbetung hatte garkeinen rechten geistigen Untergrund. Aber heute noch unterhält er eine Sammlung von Napoléon-Portraits und -Reliquien, für die ihm sein Vater denn auch das Kreuz der Ehrenlegion geschenkt hat, da er es nicht gut mehr tragen kann.
    Selten wohl, kann man sagen, hat zwei Herzen ungleicheren Schlages das Band der Liebe umwunden. August betete Ottilien an, wie er Napoléon anbetete, – ja, ich kann nicht umhin, diesen Vergleich zu ziehen, so sonderbar er anmuten mag; und mein armer Liebling – ich sah es mit Befremden und Schrecken – neigte sich seinem schwerfälligen Werben zärtlich entgegen, überzeugt von der rücksichtslosen Allmacht des Liebesgottes, die über Meinungen und Gesinnungen lachend triumphiert. Sie hatte es schwerer dabei als er, der seine Überzeugungen offen hervorkehren durfte, während sie die ihren verhehlen {171} mußte. Aber das, was sie ihre Liebe nannte, ihr sentimentalisch-widerspruchsvolles Erleben mit dem Sohn des großen Dichters verbarg sie nicht und brauchte es nicht zu verbergen in unserer kleinen Welt, darin das Gefühl und seine Kultur in zartesten Ehren steht und auf die allgemeine Teilnahme rechnen kann. Für meine Person war ich ihre bange Vertraute, welche die Einzel-Stadien und -Episoden ihres Abenteuers getreulich mit ihr durchlief. Aber auch ihrer Mutter durfte sie sich desto ungescheuter eröffnen, als Frau von Pogwisch sich seit längerem in ähnlichen Umständen befand und ihrem Kinde bei seinen Confessionen in fraulich-freundschaftlichem Austausch begegnete. Ihr war es um den schönen Grafen Edling zu tun, einen Südländer, Hofmarschall und Staatsminister, dazu Vormund und Scherz-Väterchen ihrer Töchter, Hausfreund und bald wohl mehr. Denn sie hoffte auf seine Hand, hatte auch Grund, darauf zu hoffen und erwartete sein entscheidendes Wort, welches sich aber verzögerte. So bot Amor Mutter und Tochter Stoff zu wechselseitigen Herzensergießungen über die täglichen Freuden und Leiden, die Entzückungen, Hoffnungen und Enttäuschungen, die er so reichlich gewährt.
    August und Ottilie sahen einander bei Hofe, in der Komödie, im Haus seines Vaters, bei mancherlei privater Geselligkeit. Aber auch abseits der Sozietät und in der Stille trafen die Liebenden zusammen, wozu die beiden alten Gärten nahe der Ilm, mit ihren Gartenhäusern, der Goethe's und der Ottiliens Großmutter Gehörige, die behütetste Gelegenheit bot. Ich war immer meinem Herzblatt zur Seite bei diesen Zusammenkünften und hatte mich nur zu wundern, mit welcher seufzenden Glückseligkeit sie davon hinwegging und mit wie errötenden Umarmungen mir dankte für meine Assistenz; denn mir schien unweigerlich, nicht nur an meiner Rolle als Dritter und als Chaperon habe es gelegen, daß mir die Begegnung so unersprießlich, das Gespräch so leer, so gezwungen vorgekommen {172} war. Lustlos und stockend hatte es auf einem Cotillon, einem Hofklatsch, einer vorhabenden oder zurückgelegten Reise rouliert und hatte noch am meisten Lebhaftigkeit gewonnen, wenn von des jungen Mannes Dienst bei seinem Vater die Rede gewesen war. Aber Ottilie gestand sich das Unbehagen, die gehabte Langeweile nicht ein. Sie tat, als hätten bei einem so öden Zusammensitzen oder Spazieren sich die Seelen gefunden und berichtete in diesem Sinn auch wohl ihrer Mutter, von der sie vermutlich dafür die Nachricht empfing, es sprächen alle Zeichen dafür, daß das anhaltende Wort des Grafen nun unmittelbar bevorstehe.
    So lagen die Dinge, als ein Ereignis in das Leben des lieben Kindes trat, von dem ich nicht ohne die herzlichst mitschwingende Bewegung zu sprechen vermag; denn alle Schönheit und Größe der Zeit versammelte sich für uns beide darin und nahm persönliche Gestalt an für uns beide in diesem Erlebnis.
    Das Frührot des Jahres 13 brach an. Was sich im Preußenlande Herrliches begab, – die Erhebung der Patrioten, ihr Sieg über den zögernden Sinn des Königs, die Aufstellung der Freiwilligen-Corps, denen, bereit zum enthusiastischen Verzicht auf Bildung und Behagen, begierig, ihr Leben für das Vaterland in die

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