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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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unserer Entschlußkraft nicht hilfreich. Was tun? Sie fühlen zwei jungen Frauenzimmern die Scheu nach, Hand zu legen an einen wirklichen, am Oberschenkel verwundeten Jüngling, noch dazu einen so schönen! Sollten wir ihn aufheben, ihn tragen? Wohin? Zur Stadt doch nicht, die übrigens voller Franzosen war. Auch jede nähere und vorläufigere Unterkunft aber, wie etwa das Borkenhäuschen, war unseren Kräften so unerreichbar wie den seinen. Die Blutung seiner Wunde war seiner Aussage nach zwar zum Stillstand gekommen; aber das Bein schmerzte sehr, und an ein Gehen, sei es auch mit unserer Unterstützung, war nicht zu denken. Garnichts blieb übrig, als den Helden – und er selbst war dieser Meinung – an Ort und Stelle, im notdürftigen Schutz des Gesträuches, liegen zu lassen und unsererseits nach der Stadt zurückzukehren, um vertrauenswürdigen Personen von unserem kostbaren Funde Eröffnung zu machen und mit ihnen das Erforderliche zu beraten, welches aber in aller Stille und Heimlichkeit zu bewerkstelligen sein würde. Denn wie nichts anderes verabscheute Ferdinand den Gedanken, in Gefangenschaft zu geraten und sann auf nichts, als, sobald er genesen sein würde, Dienst und Kampf wieder aufzunehmen, um ›Näppel‹, wie er den Corsen nannte, aufs Haupt zu schlagen, das Vaterland zu befreien und Paris in Asche zu legen.
    Diese Vorsätze äußerte er mit frostbebenden Kiefern, alle Schwierigkeiten überspringend, die seiner nächsten Rettung entgegenstanden. Gegen den Durst, der ihn plagte, fand Ottilie in ihrem Täschchen einigen Minzenzucker, an dem er sich denn sogleich zu delektieren begann. Ein Riechfläschchen, das ich bei mir hatte, wies er mit männlichem Spott zurück, dul {178} dete es aber, daß wir ihm unsere Umschlagtücher, das eine als Kopfkissen, das andere als allzu leichte Zudecke, zurückließen und verabschiedete uns mit den Worten: ›Na, sehen Sie zu, was sich machen läßt, meine Damen, daß ich aus dieser verdammten Patsche komme! Tut mir leid, Ihre werte Gesellschaft vorderhand wieder entbehren zu müssen. War mir, parole d'honneur, eine angenehme Zerstreuung in meiner Abgeschiedenheit.‹ So heldenhaft lässig war immer seine Rede – in einer Lage auf Leben und Tod. Wir darauf machten vor dem Hingestreckten unseren Knix, den er mit einer Bewegung erwiderte, als salutiere er uns mit den Absätzen, und enteilten …
    Wie wir zur Stadt zurückgelangten, ich wüßte es kaum zu sagen. Auf Flügeln der Begeisterung, der Angst und des Entzückens geschah es, – da wir uns doch sorgsam hüten mußten, daß jemand uns solche Beflügelung anmerke. Einen Plan zur Bergung des herrlichen Menschen im Einzelnen ins Auge zu fassen, waren wir außerstande. Daß er nicht eine zweite Nacht hilflos unter dem Himmel liegen dürfe, sondern in ein sicheres Haus verbracht und sorgsamster Pflege übergeben werden müsse, war der feste Punkt in unseren irrenden Gedanken, und mit derselben dringlichen Bestimmtheit tat sich der Wunsch darunter hervor, daß wir beide von dieser Pflege nicht ausgeschlossen sein möchten. Unsere Mütter ins Geheimnis zu ziehen, lag nahe; aber wenn wir ihrer Anteilnahme sicher sein durften, wie sollten sie raten, wie helfen? Männlicher Beistand war unumgänglich; und wir verfielen darauf, uns denjenigen jenes Herrn von Spiegel, des Kammerherrn, zu sichern, den wir mit uns so übereindenkend wußten und der, da er einer der Urheber des verhängnisvollen preußischen Einmarsches war, alle Ursache hatte, sich einem Opfer desselben hilfreich zu erweisen. Er war nämlich damals noch auf freiem Fuß; seine und seines Freundes von Voigt Verhaftung wurde erst einige Tage später durch die Denunziation eines Vorteil suchenden {179} Mitbürgers herbeigeführt, und beide hätten ihren wagehalsigen Patriotismus mit dem Tode bezahlt, wenn nicht Napoléon, als er persönlich wieder in Weimar war, aus Courtoisie gegen die Herzogin ihre Begnadigung ausgesprochen hätte.
    Dies unter der Hand. Ich will mich beim Folgenden nicht in Einzelheiten verlieren; genug, daß von Spiegel die in ihn gesetzte Erwartung nicht enttäuschte, sondern sich sofort energisch-tätig zeigte und alles Wünschbare mit der glücklichsten Umsicht ins Werk setzte. Eine Tragbahre ward heimlich und sogar stückweise in den Park geschafft, trockene Kleider und Stärkungsmittel fanden sich nach kurzer Zeit bei dem Aermsten ein, ein Wundarzt besuchte ihn wohltätig, und bei sinkender Dämmerung wurde der zum Civilisten

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