Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
bemerken, wie arg- und rückhaltlos immer wieder solche Männer vor dem Gewaltigen ihr Herz eröffneten, weil sie sich garnicht denken konnten und nicht im Entferntesten für {166} möglich hielten, daß irgend jemand an Ideen, die ihnen so gesund und wünschenswert schienen, etwas sollte auszusetzen haben. Es dauerte lange, bis sie begriffen, daß der große Mann dabei durchaus nicht mithalten wollte, und daß man vor ihm nicht davon sprechen durfte.) – ›Hören Sie mich an!‹ sagte er jetzt. ›Von den Alten bilde auch ich mir ein etwas zu verstehen, aber der Freiheitssinn und die Vaterlandsliebe, die man aus ihnen zu schöpfen meint, laufen Gefahr und sind jeden Augenblick im Begriffe zur Fratze zu werden.‹ – Ich vergesse nie, mit welcher kalten Erbitterung er das Wort ›Fratze‹ aussprach, das überall der grimmigste Schimpf ist, über den er verfügt. – ›Unsere bürgerliche Existenz‹, fuhr er fort, ›unterscheidet sich gar sehr von der der Alten, unser Verhältnis zum Staat ist ein ganz anderes. Der Deutsche, statt sich in sich selbst zu beschränken, muß die Welt in sich aufnehmen, um auf die Welt zu wirken. Nicht feindliche Absonderung von anderen Völkern darf unser Ziel sein, sondern freundschaftlicher Verkehr mit aller Welt, Ausbildung der gesellschaftlichen Tugenden, auch auf Kosten angeborener Gefühle, ja Rechte.‹ – Dies Letztere sprach er mit gebietend erhobener Stimme, indem er mit dem Zeigefinger auf das vor ihm stehende Tischchen tippte, und fügte hinzu: ›Sich den Obern zu widersetzen, einem Sieger störrig zu begegnen, darum weil uns Griechisch und Lateinisch im Leibe steckt, er aber von diesen Dingen wenig oder nichts versteht, ist kindisch und abgeschmackt. Das ist Professorenstolz, der seinen Mann ebenso lächerlich macht, als er ihm schadet.‹ – Hier machte er eine Pause. Und gegen den jungen Passow gewandt, der ganz entgeistert saß, schloß er in wärmerem, aber beklommenem Tone: ›Nichts ist weniger mein Wunsch, Herr Doktor, als Ihnen wehe zu tun. Ich weiß, Sie meinen es gut. Aber es gut und rein zu meinen, genügt nicht; man muß auch die Folgen abzusehen vermögen seines Betreibens. Vor dem Ihrigen graut mir, weil es die noch edle, noch {167} unschuldige Vorform ist von etwas Schrecklichem, das sich eines Tages unter den Deutschen zu den grassesten Narrheiten manifestieren wird, und wovor Sie selbst sich, wenn etwas davon zu Ihnen dränge, in Ihrem Grabe umkehren würden.‹
Nun denken Sie sich die allgemeine Betretenheit, den Engel, der durch das Zimmer zog! Mama hatte Mühe, ein harmloses Gespräch wieder in Gang zu setzen! Aber so war er, so hielt er sich damals und tat uns weh mit Wort und Schweigen in unserem Heiligsten. Man muß das alles wohl auf seine Bewunderung für den Kaiser Napoléon zurückführen, der ihn anno 8 zu Erfurt so sichtlich auszeichnete und ihm das Zeichen der Ehrenlegion verlieh, das unser Dichter stets ausdrücklich als seinen liebsten Orden bezeichnete. Er sah in dem Kaiser nun einmal den Jupiter, das weltenordnende Haupt, und in seiner deutschen Staatenbildung, der Zusammenfassung der südlichen, alt- und -eigentlich deutschen Gebiete im Rheinbunde etwas Neues, Frisches und Hoffnungsvolles, wovon er sich Glückliches versprach für die Steigerung und Läuterung deutschen Geisteslebens in fruchtbarem Verkehr mit der französischen Kultur, der er selbst soviel zu danken erklärte. Sie müssen bedenken, daß Napoléon ihn dringend eingeladen, ja von ihm gefordert hatte, seinen Wohnsitz nach Paris zu verlegen, und daß Goethe die Übersiedelung durch längere Zeit recht ernsthaft erwog und sich nach den praktischen Modalitäten verschiedentlich erkundigte. Es war seit Erfurt zwischen ihm und dem Cäsar ein Verhältnis von Person zu Person. Dieser hatte ihn sozusagen auf gleichem Fuße behandelt, und der Meister mochte die Sicherheit gewonnen haben, daß er für sein Geistesreich, sein Deutschtum nichts von ihm zu fürchten hatte, daß Napoléons Genius der Feind des seinen nicht war – soviel Grund die übrige Welt auch immer haben mochte, vor ihm zu zittern.
Sie mögen das eine egoistische Sicherheit und Freundschaft {168} nennen, aber zum ersten muß man einräumen, daß der Egoismus eines solchen Mannes keine Privatsache ist, sondern sich in Höherem, Allgemeinerem rechtfertigt; und zum zweiten: Stand er denn auch allein mit seinen Überzeugungen und Aspekten? Das keineswegs – wie sehr immer die Lasten drückten, die der
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