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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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regnerisch gewesen war, lockte der April-Tag mit zarter Heiterkeit, die durchsonnten Lüfte von süßer Frühlingshoffnung erfüllt. Ein Reiz der Neugier wirkte mit, in Sicherheit die Straßen zu durchwandern, in denen gestern der Schrecken {175} des Männerkampfes getobt, die Spuren, die er darin zurückgelassen, Beschädigungen der Häuser durch einschlagende Gewehrkugeln, diesen und jenen Blutspritzer auch wohl an einer Mauer mit einem Grauen in Augenschein zu nehmen, in das sich bei uns Frauenzimmern doch auch soviel scheue Bewunderung, ja Begeisterung für den harten und wilden Mut des anderen Geschlechtes mischt.
    Ins Freiere, Grünende zu gelangen, hatten wir Freundinnen, von Schloß und Markt kommend, die Ackerwand gewonnen und sie in Richtung der Ilm verlassen, deren Ufer nicht fern wir auf Wiesenpfaden und buschigen Gängen am Borkenhäuschen vorbei gegen das Römische Haus hin wandelten. Zertretener Grund, ein hie und da liegen gebliebenes Waffen- und Monturstück zeigten an, daß sich Kampf, Flucht und Verfolgung bis hierher gezogen hatten. Wir sprachen von dem Durchlebten und möglicherweise Bevorstehenden, der gemeldeten Besetzung sächsischer Städte durch die östlichen Völker, der ängstlichen Lage Weimars zwischen der kaiserlichen Feste Erfurt und den heranrückenden Preußen und Russen, der Verlegenheit Serenissimi des Herzogs, der Abreise der Großfürstin ins neutrale Böhmen und derjenigen des französischen Gesandten nach Gotha. Auch von August sprachen wir, wie ich mich erinnere, und von seinem Vater, der den Vorstellungen der Seinen nachgegeben und gleichfalls die bedrohte Stadt verlassen hatte: Gestern früh, ganz kurz bevor die Blücherschen hier ihren Einzug gehalten, war er in seinem Wagen nach Karlsbad abgefahren; er mußte ihnen sogar auf der Landstraße begegnet sein.
    Weiter sich ins Einsame vorzuwagen, schien nicht geheuer, und so waren wir im Begriff, den Rückzug anzutreten, als in unser Gespräch ein Laut, halb Ruf, halb Stöhnen, drang, der uns die Füße fesselte. Wir standen lauschend und fuhren zusammen: Aus dem Gebüsch seitlich des Weges ertönte dieselbe Klage, derselbe Anruf. Ottilie hatte im Schreck meine Hand {176} ergriffen, – jetzt ließ sie sie fahren, und mit klopfenden Herzen, auch unter der wiederholten Frage ›Ist jemand da?‹ brachen wir beiden Mädchen uns Bahn durch das knospende Gesträuch. Wer beschreibt unsere Bestürzung, unsere Rührung und Ratlosigkeit? Im Holz, in dem feuchten Grase lag der schönste Jüngling, ein verwundeter Krieger, ein Glied der vertriebenen Heldenschar, das lockige Blondhaar verwirrt und verklebt, einen keimenden Bart um das edel geschnittene Antlitz, dessen fiebrige Wangenröte höchst schreckhaft gegen die wächserne Blässe der Stirne stand, die durchnäßte und erdige, im halben Trocknen starr gewordene Montur befleckt – und zwar namentlich an den unteren Teilen – von ebenfalls halb getrocknetem Blut. Entsetzlicher und doch auch erhebender, das tiefste Gefühl aufrufender Anblick! Sie denken sich die ängstlich flatternden, von Teilnahme bebenden Fragen nach seinem Ergehen, seiner Verwundung, mit denen wir ihn überschütteten. ›Sie führt der Himmel vorbei‹, erwiderte er in norddeutsch scharfer Sprechweise, aber mit klappernden Zähnen, zwischen denen er öfters, wenn er eine Bewegung gewagt hatte, unter schmerzlicher Verzerrung seines schönen Gesichtes die Luft einzog. ›Ich hab' eine attrapiert ins obere Bein bei dem Spaß von gestern – auf einmal hatt' ich sie weg und mußte mal vorläufig auf die Gewohnheit des aufrechten Ganges verzichten, – nur kriechen konnt' ich noch gerade hierher, wo's ja soweit ganz lauschig ist, bloß etwas feucht, wenn's pladdert wie heute Nacht, – seit gestern Vormittag lieg' ich am Fleck und täte wohl eigentlich besser, zu Bett zu gehen, denn scheinbar hab ich ein bischen Fieber.‹
    So burschenhaft drückte der Held sich aus in seinem Elend. Und wirklich war er Student, wie er bald erklärte. ›Heinke Ferdinand‹, sagte er schnatternd, ›Jurist von Breslau und freiwilliger Jäger. Was fangen aber die Damen nun mit mir an?‹ – So mochte er wohl fragen, denn selten war guter Rat teurer ge {177} wesen, und die Benommenheit, in die das Abenteuer uns versetzte, unser Idol, den preußischen Helden, plötzlich in so naher und körperlich-persönlicher, salopp redender Wirklichkeit, unter dem bürgerlichen Namen Heinke, vor uns zu sehen, war unserer Geistesgegenwart,

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