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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Schanze zu schlagen, die edelste Jugend des Landes zuströmte, – von alledem, ich sagte es schon, drang anfangs nur geringe und gedämpfte Kunde zu uns herüber. Wovon ich Ihnen aber auch schon sprach, das war die empfindliche Verbindung, welche die Seele meiner Freundin mit der Sphäre ihres verschollenen Vaters unterhielt und die auch wohl durch handgreiflichere Nachrichten, die ihr durch preußische Verwandte zukamen, unterstützt werden mochte. Ihre liebliche Person erzitterte und erglühte bei der Berührung mit dem sich Vorbereitenden, dem schon sich Vollziehenden, das sie, in unserer idyllischen Mitte lebend, längst ersehnt, längst vorgeahnt hatte. Das Heldenvolk, dem sie sich zugehörig fühlte nach Blut {173} und Geist, stand auf, um die Schmach der welschen Tyrannei von sich zu schütteln! Ihr ganzes Wesen ging in Begeisterung auf, und wie ihr Volk durch sein Beispiel ganz Deutschland für den Kampf um Ehre und Freiheit entflammte, so riß sie mich mit sich fort und machte mich ganz zur Parteigängerin ihres Hasses und ihrer glühenden Hoffnung. Doch stand sie mit beidem auch sonst in der Stadt nicht mehr so allein wie früher. Die vaterländische Verschwörung glomm auch hier schon unter der rheinbundtreuen, napoléonfrommen Decke, und junge Edelleute wie Kammerherr von Spiegel und Regierungsrat von Voigt nahmen mit den Preußen in Jena unter der Hand eine halsbrecherische Verbindung auf, um ihnen Winke über die Vorgänge in Weimar zu erteilen. Mit ihnen hatte Ottilie sich bald gefunden und nahm in flüsternder Leidenschaft teil an ihren Umtrieben. Sie spielte mit ihrem Leben, und halb um sie zurückzuhalten, halb aus eigener Ergriffenheit war ich ihr Mitgesell bei diesen politischen Geheimnissen, wie ich es bei denen ihres Mädchenherzens, bei den Zusammenkünften mit August von Goethe war. Ich wüßte nicht zu sagen, welche von beiden mir die größere Angst und Besorgnis um sie einflößten.
    Es ist bekannt, wie wenig hoffnungsreich sich fürs erste die kriegerischen Vorgänge anließen. Zwar wurde Ottilien das Glück zuteil, preußische Uniform in Weimar zu sehen, denn Mitte April, am 16 ten , ich weiß es wie heute, tat eine Abteilung Husaren und reitender Jäger jenen Handstreich auf unsere Stadt, bei dem sie die wenigen hier liegenden französischen Soldaten zu Gefangenen machten und, wieder abziehend, mit sich führten. Kaiserliche Reiterei, die auf die Nachricht von Erfurt herüberkam, fand keine Preußen mehr in der Stadt und kehrte nach ihrem Standort zurück: voreilig allerdings, denn am folgenden Morgen – stellen Sie sich Ottiliens Entzücken vor! – ritten Mannschaften des jüngeren Blücher, Husaren abermals und grüne Jäger in die Stadt ein, von unserer Bevöl {174} kerung mit Jubel empfangen; und es begann ein Tanzen und Zechen, dessen sorglose Ausgelassenheit dem Nachdenklichen einige Beklemmung bereitete und sich denn auch nach wenig Stunden bitter bestrafte. Franzosen! hieß es, und vom Gelage weg stürzten unsere Befreier zu den Waffen. Es waren Truppen des Generals Souham, die in die Stadt drangen, an Zahl übermächtig, und kurz war der Kampf, in welchem die Franzosen sich wieder zu Herren der Stadt machten. Zitternd um das Blut unserer Helden, denen wir eben noch fröhlich Wein und Speisen zugetragen, saßen wir in unseren Zimmern und spähten auch wohl durch die Gardine nach dem Tumult der Gassen, die vom Gegell der Hörner, dem Prasseln des Gewehrfeuers erfüllt waren, aus denen aber bald das Gefecht sich in den Park und vor die Stadt hinaus verzog. Der Sieg war des Feindes. Ach, er war seiner nur allzu gewohnt, und wider Willen konnte man kaum umhin, ihn als den Sieg der Ordnung über die Rebellion – und zwar über eine knabenhaft törichte, wie sich durch ihre Niederlage herausgestellt hatte, – zu empfinden.
    Ruhe und Ordnung sind wohltätig, von wem auch immer sie aufrecht erhalten werden mögen. Wir hatten für die französische Einquartierung zu sorgen, mit welcher die Stadt sogleich bis an die Grenze ihrer Trag- und Leistungsfähigkeit belegt wurde, und die lange auf ihr lasten sollte. Aber der Friede war wiedergekehrt, der Verkehr auf den Straßen bis Sonnenuntergang frei, und im freilich bedrückenden Schutz des Siegers mochte der Bürger seinen gewohnten Geschäften nachgehen.
    Ich weiß nicht, welcher geheime Antrieb, welche Ahndung Ottilien am nächsten Tage bestimmte, mich bald nach Mittagstisch zu einem Spaziergang abzuholen. Einer Nacht folgend, die

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