Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
großen Vater sich vorgebildet finden, ob es gleich schwer ist, sie als die nämlichen wiederzuerkennen und ob auch Ehrfurcht und Pietät von solchem Wiedererkennen abschrecken möchten. Denn in dem väterlichen Falle halten sie sich in einer noch glücklichen, fruchtbaren und liebenswürdigen Schwebe und gereichen der Welt zur Freude, da sie als Sohneserbe auf eine grobe, geistverlassene und unheilvolle Weise sich manifestieren und in ihrer sittlichen Anstößigkeit offen und unverschämt zu Tage treten. Nehmen Sie ein so herrliches und bezauberndes, ja, auch sittlich bezauberndes Werk wie den Roman ›Die Wahlverwandtschaften‹ … Oft ist gegen diese geniale und höchstverfeinerte Ehebruchsdichtung von philisterlicher Seite der Vorwurf der Unmoral erhoben worden, und Sache eines klassischen Gefühls war es selbstverständlich, ihn als plump und bigott zurückzuweisen oder auch nur die Achseln darüber zu zucken. Und doch, meine Teuere, ist es zuletzt weder mit dem einen noch mit dem anderen getan. Wer wollte, bei seinem Gewissen genommen, leugnen, daß tatsächlich in diesem erlauchten Werk ein Element des sittlich Fragwürdigen, Betulichen, ja – verzeihen Sie mir das Wort! – des Heuchlerischen waltet, ein bedenkliches Versteckspiel mit der Heiligkeit der Ehe, ein laxes und fatalistisches Zugeständnis an die Naturmystik … Selbst der Tod, sehen Sie, – er, den wir wohl als das Mittel der sittlichen Natur verstehen sollen, sich ihre Freiheit zu salvieren, – ist er nicht in Wahrheit {214} als Vorschub und letzte süßeste Zuflucht der Konkupiszenz empfunden und dargestellt? – Ach, ich weiß wohl, wie absurd, wie lästerlich es scheinen muß, in Augustens Zügellosigkeit und Wüstlingsleben eine andere, unerfreulich gewordene Erscheinungsform von Anlagen zu sehen, aus denen ein Geschenk an die Menschheit wie jenes Romanwerk kam. Auch sprach ich ja schon von den Gewissensskrupeln, womit zuweilen die kritische Erforschung der Wahrheit verbunden ist, und in denen das Problem sich aufwirft, ob die Wahrheit etwas durchaus Erstrebenswertes und unsrer Erkenntnis zur Aufgabe Gesetztes ist oder ob es verbotene Wahrheiten gibt. –
Ottilie nun zeigte sich von den Nachrichten über Herrn von Goethes Wandel viel zu bewegt und schmerzlich verstört, als daß ihr wirkliches Désinteressement an seiner Person mir hätte glaubhaft sein können. Ihr Haß auf die Husarenfrau war offenkundig, – ein Haß, dem man auch einen genaueren Namen hätte geben mögen. Die Gefühle eines reinen Frauenzimmers für solche Geschöpfe, denen der Mann ihrer Aufmerksamkeit seine Sinnengunst zuwendet, und die sich gegen sie in einem so niedrigen wie faktischen Vorteil befinden, sind gewiß ein Abgrund. Verachtung und Abscheu können die verworfene Rivalin nicht tief genug unter die eigene Lebenswürde herabsetzen; aber jene furchtbar spezielle Form des Neides, die Eifersucht heißt, hebt sie wider Willen doch auch wieder zur eigenen Schichte empor und macht einen ebenbürtigen Gegenstand des Hasses aus ihr, – ebenbürtig durch das Geschlecht. Auch läßt sich vermuten, daß die Sittenlosigkeit des Mannes, bei allem Grauen, das sie erregt, doch auch wieder eine tiefe, furchtbare Anziehungskraft auf eine solche Seele ausübt, welche selbst eine schon absterbende Neigung aufs neue anzufachen vermag und, da im Edlen alles edel wird, die Gestalt der Opferbereitschaft, des Wunsches annimmt, durch die eigene Hingabe den Mann seinem besseren Selbst wiederzugeben.
{215} Mit einem Worte: ich war alles andere als sicher, daß mein Liebling einen Wiederannäherungsversuch Augusts nicht günstig aufnehmen werde, – und er, würde er nicht früher oder später zu einem solchen Schritte angehalten sein durch den höheren Willen, der hinter dem Seinen stand, und gegen den er durch den Bruch mit ihr eine nutzlose Revolte versucht hatte? – Meine Erwartungen, meine Befürchtungen erfüllten sich. Juni vorigen Jahres – ich erinnere mich des Abends als wär's der gestrige gewesen – standen wir bei Hofe zu viert in der Spiegelgalerie: Ottilie und ich, dazu unsere Freundin Karoline von Harstall und ein Herr von Groß, als August, den ich längst sich um uns bewegen, sich hatte heranpirschen sehen, zu unserer Gruppe trat und sich ins Gespräch mischte. Er sprach im Anfang zu niemandem besonders, richtete dann aber – es war ein äußerst gespannter und von uns allen Beteiligten viel Selbstbeherrschung fordernder Augenblick – einige
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