Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
daß nun alles zwischen ihr und jenem zu Ende sei und ihr Herz sich in gleichgültigem Frieden ausruhen möge von den entnervenden Zwiespältigkeiten, worin dies Verhältnis es je und je gehalten. Desto ungestörter könne sie nun das hehre Angedenken Ferdinands feiern und ihrer bedauernswerten Mutter sich tröstlich widmen. – Das war gut zu hören; allein meine Zweifel, ob ich wirklich ihretwegen ausgebangt haben dürfe, wollte es nicht gänzlich beschwichtigen. August war Sohn, – das war die Haupteigenschaft seines Lebens. In ihm hatte man es mit dem großen Vater zu tun, der ganz gewiß den Bruch mit dem ›Persönchen‹ nicht billigte, ohne dessen Erlaubnis ganz gewiß der Sohn ihn vollzogen hatte, und der ebenso gewiß seine Autorität spielen lassen würde, um ihn wieder zu heilen. Daß er eine Verbindung wünschte und betrieb, vor der mir graute, war mir bekannt; des Sohnes trübe Leidenschaft für Ottilie war nur der Ausdruck, das Resultat dieses Wunsches und Willens. Er liebte in ihr den Typ seines Vaters; seine Liebe war Nachahmung, Überkommenheit, Hörigkeit, ihre Verleugnung ein Akt falscher Selbständigkeit, eine Auflehnung, deren Nachhaltigkeit und Widerstandskraft ich leider gering anschlagen mußte. Und Ottilie? Hatte sie sich wirklich von dem Sohn dieses Vaters gelöst? Durfte ich sie wirklich als gerettet betrachten? Ich zweifelte – und zweifelte mit Recht.
Die Erschütterung, mit der sie gewisse, damals sich häufende Nachrichten über Augustens Lebensart aufnahm, ließ mich die Berechtigung meines Unglaubens nur zu klar erkennen. Vieles kam ja zusammen, den jungen Mann des moralischen Halts zu berauben, ihn die Betäubung suchen zu lassen und ihn Lastern in die Arme zu treiben, zu denen seine auf eine zweifelhafte Art robuste, auf eine unheimliche Art sensuelle Natur von jeher geneigt hatte. Seine gesellschaftliche Bemakelung durch die unselige Freiwilligen-Geschichte, sein Zerwürfnis mit Ottilie, {212} der innere und wahrscheinlich auch äußere Konflikt, in den er durch dieses mit seinem Vater und also recht eigentlich mit sich selbst geraten war: ich reihe das auf – nicht um das Wüstlingsleben zu entschuldigen, dem er sich nach allgemeinem Gemunkel überließ, aber doch, um es zu erklären. Wir hörten davon von vielen Seiten, unter anderem durch Schillers Tochter Karoline und ihren Bruder Ernst, im Zusammenhang mit Klagen über Augustens schon nicht mehr leidliches, streitsüchtig wild und grob auffahrendes Wesen. Es hieß, er spreche dem Weine maßlos zu und sei bei Nacht in trunkenem Zustande in eine schimpfliche Schlägerei verwickelt worden, die ihn sogar Bekanntschaft mit dem Polizei-Arrest habe machen lassen, – nur um seines Namens willen sei er alsbald wieder in Freiheit gesetzt und die üble Sache vertuscht worden. Sein Umgang mit Frauen, die man nur als Weibsstücke bezeichnen kann, war stadtbekannt. Der Pavillon des Gartens an der Ackerwand, den der Geheime Rat ihm zur Ausbreitung seiner Mineralien- und Fossilien-Sammlung eingeräumt hatte (denn August wiederholte und betrieb den Sammeleifer des Vaters auf eigene Hand) diente ihm, wie es scheint, öfters bei seinen Abirrungen. Man wußte von seiner Liebschaft mit einer Husarenfrau, deren Mann das Verhältnis duldete, weil das Weib Geschenke nach Hause brachte. Es war eine Latte, lang und eckig, wenn auch sonst eben nicht häßlich, und die Leute lachten, weil er Worte zu ihr gesagt haben sollte wie: ›Du bist der Tag meines Lebens!‹, was sie aus Eitelkeit selbst herumbrachte. Man lachte auch über eine halb skandalöse, halb gewinnende Geschichte: daß der alte Dichter dem Paare eines Tags gegen Abend im Hausgarten unversehens begegnet sei und bloß gesagt habe: ›Kinder, laßt euch nicht stören!‹, worauf er sich unsichtbar gemacht habe. Ich kann mich für das Vorkommnis nicht verbürgen, halte es aber für echt, denn es stimmt überein mit einem gewissen moralischen Wohlwollen – um nichts andres zu sagen – des {213} großen Mannes, das Viele ihm zum Vorwurf machen, über das aber ich mich jedes Urteils enthalte.
Nur ein Diesbezügliches lassen Sie mich auszusprechen versuchen, worüber ich oft gegrübelt habe – nicht mit dem besten Gewissen übrigens, vielmehr unter Zweifeln, ob es mir oder überhaupt jemandem anstehe, solchen Gedanken nachzuhängen. Ich meinte nämlich zu sehen, daß gewisse Eigenschaften, die sich beim Sohn höchst unglücklich und zerstörerisch hervortun, schon bei dem
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