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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Fragen und Aeußerungen direkt an Ottilie. Die Conversation ging im Weltton, sie roulierte auf Krieg und Frieden, die Totenlisten, die Lebensbekenntnisse seines Vaters, den preußischen Ball und seinen vorzüglichen Cotillon; August aber hatte dabei ein Himmeln der Blicke, das zu der formellen Gleichgültigkeit seiner und unserer Worte nicht paßte, und auch bei der Verabschiedung, als wir unsern Knix vor ihm machten (denn ohnehin hatten wir weggehen wollen) himmelte er stark.
    ›Hast Du sein Himmeln gesehen?‹ fragte ich Ottilien auf der Treppe. ›Ich sah es‹, erwiderte sie, ›und es hat mir Besorgnis gemacht. Glaube mir, Adele, ich wünsche nicht, daß er zur alten Liebe zurückkehrt, denn ich würde die alte Qual gegen eine Gleichgültigkeit tauschen, in der ich mich wohlbefinde.‹ – So ihre Worte. Aber der Bann war gebrochen, die oeffentliche Fehde beendet. Im Theater und sonst in der Gesellschaft suchte Herr von Goethe weitere Annäherungen; und wenn Ottilie auch das Alleinsein mit ihm vermied, das er anstrebte, so ge {216} stand sie mir doch, daß sie vom Blick seines Auges, der sie an alte Zeiten erinnere, sich oft seltsam gerührt fühle, und daß bei dem grenzenlos unglücklichen Ausdruck, mit dem er sie manchmal ansehe, das alte Schuldgefühl gegen ihn sich in ihrem Herzen erneue. Sprach ich ihr dann von meiner Angst, von dem Unheil, dessen ich mich von dem Umgang mit dem wilden, zerstörenden Menschen versähe, mit dem keine Freundschaft denklich sei, weil er immer mehr fordern werde, als, wenn ich ihr glauben dürfe, sie zu geben bereit sei, so antwortete sie: ›Sei ruhig mein Herz, ich bin frei und bleibe es für immer. Sieh, da hat er mir ein Buch geliehen, Pinto's Wunderliche Weltreise in 21 Tagen, – und noch hab' ich's nicht angesehen. Wenn es von Ferdinand wäre – wüßt' ich's nicht auswendig?‹ – Das war schon recht. Daß sie ihn nicht liebte, glaubte ich wohl. Aber war das ein Trost, eine Sicherheit? Sah ich doch, daß sie gebannt war von ihm und von dem Gedanken, die Seine zu werden, wie das Vögelchen von der Schlange.
    Mir war der Kopf verrückt, wenn ich sie als Augusts Frau dachte; und doch, worauf sonst sollte das alles hinauslaufen? Dinge geschahen, die mir das Herz zerrissen, unfaßliche Dinge. Meine Überzeugung, daß dieser Unglückliche sie zerstören werde, schien sich im Voraus bewähren zu sollen, denn vorigen Herbst erkrankte mein Liebling ernstlich, wahrscheinlich infolge des inneren Zwiespalts: Drei Wochen lag sie mit Gelbsucht, einen Bottich mit Teer unterm Bett, worin sich zu spiegeln bei dieser Krankheit heilsam sein soll. Als sie aber, genesen, mit jenem wieder in Gesellschaft zusammentraf, da schien er sie überhaupt nicht vermißt, ihre Absenz nicht bemerkt zu haben! Kein Wort, nicht eine Sylbe zeugte vom Gegenteil!
    Ottilie war außer sich, sie erlitt einen Rückfall und mußte sich noch einmal acht Tage im Teere spiegeln. ›Dem Himmel‹, schluchzte sie an meiner Brust, ›hätte ich für ihn entsagen können, – und er betrog mich!‹ Was denken Sie aber? Was {217} glauben Sie? Vierzehn Tage später kommt das arme Geschöpf totenbleich zu mir und berichtet mir starren Blicks, August habe ihr von der zukünftigen Verbindung mit ihm in aller Ruhe wie von einer abgemachten Sache gesprochen! Wie wird Ihnen dabei zu Mute? Ist etwas Unheimlicheres denkbar? Er hatte sich ihr nicht erklärt, sie nicht um ihre Liebe gebeten, man kann auch nicht sagen, er hätte gesprochen von der Heirat mit ihr; er hatte ihrer vielmehr mit schauriger Beiläufigkeit Erwähnung getan. – ›Und Du?‹ rief ich. ›Ich beschwöre Dich, Tillemuse, mein Herz, was hast Du ihm geantwortet?!‹ – Verehrteste, sie gestand mir, das Wort habe sich ihr versagt.
    Begreifen Sie, daß ich mich empörte gegen die düstere Unverfrorenheit des Verhängnisses? Ein Bollwerk wenigstens stand ihr denn doch noch entgegen in der Person der Frau, deren Existenz zweifellos ein ernstes Hindernis bilden würde, wenn Herr von Goethe, wie es schließlich erforderlich war, bei Ottiliens Mutter und Großmutter um sie anhielt: in der Person der Geheimen Rätin, Christianens, der Demoiselle. – Meine Teuerste, verwichenen Juni ist sie gestorben. Dahingefallen ist dieser Anstoß, ja mehr noch: bedrohlichst hat durch den Todesfall die Lage sich zugespitzt, denn Augusts Sache ist es nunmehr, in das väterliche Haus eine neue Herrin einzuführen. Durch Trauer gebunden, dazu bei stille werdender

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