Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
beobachtete Philips Boot, das in weitem Vorsprung den einzelnen Biegungen des Stromes folgte. Allem Anschein nach hatte ihr Vater die Absicht, nichts mehr über Philip zu sagen. Er nahm es als selbstverständlich an, daß sie ihm gehorchen würde, wie sie es bisher immer getan hatte.
Ein Kanu von Illinois kam an ihnen vorbei. Die Händler sangen ein lustiges französisches Lied, während sie schnell dahinruderten. Ein Eingeborenenkanu folgte ihnen, das mit Perlen und Decken beladen war. Es wurde von Indianern gerudert, die es schweigend und geschickt durch die Wellen der Strömung lenkten. Nach einer Weile hörte sie, daß ihr Vater die Grüße eines anderen Bootes erwiderte, das der Familie St. Clair von Pennsylvania gehörte. Wieder konnte sie Philips Boot sehen, das sich inzwischen noch weiter von ihnen entfernt hatte. Er hielt sein Wort und fuhr den Strom hinunter, so schnell er nur konnte.
Judith legte die Hände um die Knie und lehnte sich gegen die Wand der Kabine. Es kam nicht darauf an, was ihr Vater sagte oder tat, Philip würde sie doch finden. Und was sollte sie ihm dann sagen? Sie sehnte sich so sehr nach ihm! Der Gedanke, daß er heute abend nicht am Landungsplatz sein würde, wenn sie ihr Boot festmachten, gab ihr ein Gefühl von Leere und Einsamkeit. Sie wünschte, daß er dort wäre und ihr von Piratenschlachten oder Zweikämpfen oder irgendwelchen anderen Abenteuern erzählte, über die er gern plaudern wollte. Er sollte ihr wieder sagen, daß er sie liebte, und sie fest in die Arme schließen, ohne daß sie gestört wurden. Ein neues unsagbares Verlangen nach ihm war über sie gekommen. Es erfüllte sie ganz, wenn sie es auch nicht verstehen konnte. Wieder dachte sie darüber nach, was es sein mochte, das die Männer von den Frauen wollten. Es war etwas Schönes oder Schreckliches oder vielleicht beides. Seltsam, obwohl sie so wenig davon ahnte, glaubte sie doch, es müßte etwas Schönes sein, da sie nun wußte, daß Philip Larne es von ihr haben wollte.
Am liebsten hätte sie geweint. Dieses müßige Herumsitzen war nicht gut. Man sollte immer etwas Nützliches tun – oder war das vielleicht auch nur eine der Lebensregeln aus Neuengland, die hier am sonnigen Strom keine Geltung mehr hatten?
Sie ging in die Kabine, holte ein Tuch heraus und säumte es. Wie mausgrau und häßlich nahmen sich doch ihre Kleider gegen Philips blau- und rotseidene Gewänder aus! Und wie grau und farblos würde ihr ganzes Leben sein, wenn sie ihrem Vater gehorchte! Bis sie ein eigenes Haus bauten, würden sie die Gäste Walter Purcells sein. Er war der Sohn des ältesten Freundes ihres Vaters. Ein fleißiger, tüchtiger junger Mann mit allen Tugenden, die es nur gab. Judith verzog ironisch den Mund, während sie nähte. Sicher würde sein Haus blitzblank, aber nüchtern sein. Von ihr erwartete man, daß sie sich dort wie ein wohlgesittetes junges Mädchen benähme. In Häubchen und Schultertuch sollte sie am Spinnrad sitzen, bis ein anderer ordentlicher junger Mann in einem Barchentrock und Nankinghosen kam, ihr den Hof machte und sie schließlich als brave Ehefrau heimführte. Ach, das wollte sie nicht! Wozu hätte Gott dieses wunderbare Land hier geschaffen, wenn nicht für ausgelassene Fröhlichkeit, für lachendes Glück und für Männer wie Philip Larne!
*
Schließlich kamen sie nach den Höhen von Dalroy.
Unterhalb von Baton Rouge waren die Ufer niedrig gewesen und nur sanft angestiegen, aber plötzlich erhob sich das Ostufer zu beträchtlicher Höhe, und ein Landrücken hing wie ein vorspringendes Riff über dem Strom. An dem unteren Ende befand sich der Anlegeplatz. Die Sheramys sahen dort so viele Flachboote und Kanus, daß sie zuerst glaubten, ihre Bootsleute würden nicht landen können. Aber sie fanden doch noch eine Lücke und machten das Boot fest. Judith kletterte nach ihrem Vater an Land.
Sie standen zusammen auf der belebten Werft, während die Männer die Kisten ans Ufer trugen. Judith empfand plötzlich Furcht bei dem Gedanken, daß sie an diesem wilden Platz leben sollte. Es herrschte ein wirres Durcheinander. Bootsleute schrien und riefen, ein paar Neger rollten schwere Lasten über die Planken, Indianer begrüßten die einfahrenden Boote mit Gesang und fingen dann die Melonen und die kleinen Münzen auf, die ihnen von den Leuten aus den Fahrzeugen zugeworfen wurden. Eine Unmenge von Wagen, Lastkarren und mit Früchten beladenen Holzgestellen standen in einem unentwirrbaren Knäuel am
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