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Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden

Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden

Titel: Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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Korsett war so fest geschnürt, daß sie kaum atmen konnte, aber sie stieß doch einen kleinen Freudenruf aus, als sie ihr Spiegelbild sah. Niemand hatte ihr jemals gesagt, wie schön ihre Schultern geformt waren und was für eine schlanke Taille sie hatte. Sie sah fein, zart, zerbrechlich aus. Judith lehnte sich über die Kommode und konnte den Blick nicht abwenden. Jetzt glich sie den Frauen, an die Philip gewöhnt war. Wenn alles andere auch so leicht war wie dies –?
    Es klopfte an der Tür, und Gervaise trat ein.
    »Wollen wir ins Speisezimmer gehen, wenn Sie fertig sind?« fragte sie. Dann hielt sie plötzlich inne. »Aber wie anders sehen Sie jetzt aus, nachdem Sie sich umgekleidet haben! Ist es nicht wirklich eine große Erleichterung, wenn man nach einer beschwerlichen Reise wieder zum zivilisierten Leben zurückkehren kann?«
    »O ja«, erwiderte Judith.
    Sie zögerte, sah noch einmal in den Spiegel und wandte dann Gervaise den Blick zu. Ob sie ihr wohl gestehen durfte, wie wenig sie an diese Bequemlichkeiten gewöhnt war, die Gervaise ›zivilisiertes Leben‹ nannte? Aber sie fand nicht den Mut dazu.
    Immerhin überlegte sie, ob sie nicht mit ihr über Philip sprechen sollte. Gervaise war auch jung und mußte wissen, wie es war, wenn man sich verliebt hatte, denn sie war doch verheiratet!
    Aber auch das tat Judith nicht. In diesem Haus erschien ihr alles romantisch – das Reisgericht und die Krabben, die sie aßen, die Diener, die auf leisen Sohlen über den Fußboden gingen, und der kleine Negerjunge, der den großen Fächer aus Putenfedern über dem Tisch bewegte. Gervaise war ruhig und sachlich, und Judith konnte sich kaum vorstellen, daß diese junge Frau aufregende Erfahrungen hinter sich hatte. Gervaise sprach nicht viel, wenn sie nicht gerade die Fragen von Mrs. Sheramy beantwortete, die etwas über die Haushaltführung in Louisiana wissen wollte, und sie war zu ihrem Mann so höflich, als ob sie einander eben erst vorgestellt worden wären. Walter, Mark und Caleb sprachen über Ernten und das Geschäft auf der Werft. Der Vater machte keine Bemerkung über Judiths enggeschnürte Taille oder ihre ungewöhnliche Frisur. Daraus schloß sie, daß er in unbedeutenderen Dingen nachsichtig sein wollte, weil sie Philip aufgegeben hatte. Das hatte sie jedoch nicht versprochen, wie sie sich energisch sagte, obwohl sie erkannte, daß sie diese Frage allein entscheiden mußte. Sie hatte keinen Menschen, dem sie sich anvertrauen konnte, und es war ihr, als ob sie von allen anderen abgeschieden wäre. Als es Zeit war, zu Bett zu gehen, atmete sie auf.
    Nachdem Titine sie ausgekleidet und sich zurückgezogen hatte, stand Judith in ihrem Nachtgewand am Fenster und sah auf die Bäume und die Indigofelder hinaus, die in silbernem Mondlicht vor ihr lagen. Irgendwo dort draußen war Philip – Philip, der sie liebte und den sie glühend heiß wiederliebte trotz aller Einwände ihres Vaters. »Du würdest mit einem solchen Mann sehr unglücklich werden … Du bist noch zu jung, um das zu verstehen.« Es war, als ob sie noch einmal hörte, was er auf dem Baumstamm am Flußufer zu ihr gesagt hatte. So ernst und doch so sanft hatte er mit ihr gesprochen, daß es ihr wehe tat, daran zu denken, wie sehr es ihn schmerzen würde, daß sie sich gegen seinen Wunsch für Philip entschied. Er war so viel älter und klüger als sie und so gut – aber sie erinnerte sich daran, wie Philip sie in der kleinen Bucht geküßt hatte. Sicher konnte er ihr kein Leid zufügen, das schrecklicher wäre als ein Leben ohne ihn. Sie blies die Kerze aus, sank ins Bett und vergrub das Gesicht in den Armen. War denn niemand da, der sie verstand? War sie die einzige auf der Welt, die in einen Strudel von Sternen und Feuer geraten war, weil ein Mann sie geküßt hatte?
    Es war sehr ruhig. Alle schliefen schon, nur sie wachte noch.
    »Judith! Liebste Judith!«
    Sie richtete sich auf. Die Worte waren im Flüsterton gesprochen worden, kaum so laut wie das Raunen des Windes in den Palmen draußen, aber sie wußte sofort, daß es Philip war. Dann sah sie im Mondlicht, daß er über die niedrige Fensterbank ins Zimmer stieg. Sie preßte den Handrücken gegen den Mund.
    Philip schlug das Moskitonetz zurück und kniete vor ihrem Bett nieder.
    »Ach, Liebste, bist du es wirklich?«
    »Philip«, sagte sie atemlos und zitternd, »sie bringen dich um, wenn sie dich hier finden! Geh fort!«
    »Judith«, erwiderte er, als ob er ihre Worte nicht gehört

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