Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
Umstände.«
»Aber durchaus nicht.« Gervaise lachte ein wenig, als ob sie über diese Bemerkung erstaunt wäre. »Ich sehe es gern, wenn wir Gäste haben. Walter ist immer den halben Tag auf der Farm, und es ist so langweilig, wenn man nur Diener und ein Baby zur Gesellschaft hat.«
»Was, Sie haben schon ein Baby?« rief Judith.
»Ja, ein kleines Mädchen. Babette heißt es. Warum sind Sie so erstaunt darüber?«
»Ach – Sie sehen selbst noch fast wie ein kleines Mädchen aus.«
Gervaise lachte wieder. »Sie meinen, weil ich so schmal und schlank bin? Aber ich bin schon siebzehn und seit drei Jahren verheiratet.« Sie legte die Hand auf die Türklinke. »Entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Ich will den Mädchen sagen, daß sie noch mehr Gedecke für das Abendessen auflegen. Sie können Titine alles sagen, was Sie haben wollen. Bitte, scheuen Sie sich nicht, Ihre Wünsche zu äußern. Wir möchten, daß Sie sich hier recht wohl fühlen.« Mit einem Knicks schloß sie die Tür. Judith blieb zurück und schaute ihr nach, während Titine die Kleiderkiste auspackte. Fast empfand sie Ehrfurcht vor Gervaise, die alles so bestimmt und selbstverständlich tat, als ob sie in ihrem Leben nie einen Augenblick der Verlegenheit gekannt hätte. Frauen wie sie mußte Philip an der Gullahküste kennengelernt haben, Frauen, die es verstanden, mit Fremden umzugehen, Sklaven zu beaufsichtigen, wundervolle Kleider zu tragen und immer lächelnde Überlegenheit zu zeigen. Judith warf den Hut mit ungerechtfertigter Heftigkeit auf das Bett. Sie verstand sich nur gut darauf, Hammelfleischpasteten zu bereiten und Frostbeulen zu heilen, und sie hatte die Empfindung, daß sie eigentlich nicht hierher gehörte.
»Junge Miß fertig für Bad?« fragte eine sanfte Stimme hinter ihr.
Judith wandte sich um. Titine stand respektvoll neben der hölzernen Wanne. Sie war schlank und schwarz und trug zu dem blauen Kattunkleid ein gelbes Kopftuch.
»Ja«, erwiderte Judith, »sobald ich mich ausgezogen habe.«
Sie wünschte, Titine möchte das Zimmer verlassen, denn sie war nicht daran gewöhnt, sich vor Fremden auszukleiden. Aber die Schwarze trat näher, knöpfte Judiths Kleid auf und löste mit geschickten Fingern die Schleifen der Unterröcke. Judith zeigte ihr Erstaunen nicht. Offenbar war dies hierzulande Sitte, wenn es auch seltsam genug war, nackt vor einer Sklavin zu stehen und sich dann wie ein kleines Kind von ihr baden zu lassen. Aber nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, fand sie es doch sehr angenehm, wenn es auch nicht schicklich sein mochte. Sie hatte immer Mühe gehabt, sich den Rücken zu waschen. Ein hilfloses weibliches Wesen zu sein, war entschieden schön. Das mußte Philip gemeint haben, als er sagte, er wollte sie zu einer großen Dame machen.
»Miß tragen dies hier zum Abendessen?« fragte die Schwarze.
Sie hatte Judiths bestes Kleid in der Hand. Ihr Vater hatte gesagt, der blaue Musselin wäre zu zart, um ihn in die Wildnis mitzunehmen, aber neben dem eleganten Kleid von Gervaise wirkte er wie dickes, steifes Zeug.
»Ach ja«, sagte Judith. Sie sah, daß Titine frische Strümpfe und Wäsche wohlgeordnet auf dem Bett ausgebreitet hatte. Sie legte das blaue Kleid dazu, dann nahm sie ein Hemd auf, das Judith vor drei Tagen in einer kleinen Bucht am Strom gewaschen hatte. Gehorsam stieg Judith hinein und setzte sich auf einen Stuhl, während Titine die Strümpfe holte. Es war kaum zu begreifen, daß jemand anders ihr die Strümpfe anziehen konnte, da er sie von der falschen Seite überstreifen mußte, aber Titine schien überzeugt zu sein, daß keine Frau dergleichen selbst fertigbrachte. Sie kniete vor ihr nieder und strich geschickt und schnell die Strümpfe über Judiths Füße.
Es war alles höchst sonderbar, aber es fiel überraschend leicht, sich daran zu gewöhnen.
Schließlich brachte Titine Brenneisen, eine Kerze in einem Drahtrahmen und einen roten Topf mit duftender Pomade. Sie legte die Eisen auf den Rahmen, um sie zu erhitzen, und kämmte Judiths Haar über Baumwollrollen hoch. Mit Pomade wurden kleine Locken gelegt, die in die Stirn hingen, mit den Eisen andere geformt, die in den Nacken fielen. Als alles fertig war, stellte Titine einen Spiegel auf die Kommode, und Judith drehte sich langsam um.
Der Spiegel war zwar nur schmal, aber lang, so daß sie sich bis zur halben Größe darin betrachten konnte. Sie hatte das Gefühl, als ob sie einen Korb auf dem Kopf balancierte, und ihr
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