Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
aus der Tasche seiner verschmierten Arbeitshose, vermerkte Freds Namen und blinzelte dann zur Sonne, um die ungefähre Tageszeit festzustellen; vermerkte dann auch die Stunde. »Siehst du die Wagen da unten mit den Sandsäcken? Fang an, die Säcke hier heraufzuschleppen, wie es die anderen machen!«
Fred sprang den Abhang hinunter und zerrte einen Sandsack von dem Haufen, der dort aufgeschichtet lag und immer wieder aus schwer beladenen Wagen ergänzt wurde. Das ungefüge Ding war klobiger von Gewicht, als Fred gedacht hatte; die Säcke den Abhang hinaufzuzerren: eine harte Schinderei! Als Fred endlich oben angekommen war und einen Augenblick anhielt, um Atem zu schöpfen, rief ihn scharf der Vormann an: »Na, worauf wartest du? Wo bleibt der nächste Sack?«
Fred stolperte gehorsam nach unten. Wenn man von einem Vormann angesprochen wurde, mußte man springen – so viel wußte er. Er schleppte fünf oder sechs Säcke den Hang hinauf; dann wurden sie ihm so schwer, daß er sie kaum noch von der Stelle bewegen konnte. Er war ja an diesem Tage viele Meilen gewandert und schon grimmig ermüdet gewesen, als er mit der Arbeit begonnen hatte. Allmählich wurde es dunkel. Er keuchte und schuftete, stemmte seine nackten Füße in den weichen Boden und zerrte an den bleischweren Säcken. Dicht senkte sich die Finsternis, aber an Feierabend schien keiner zu denken. Bei dem Sandsackwall flackerte ein hohes Feuer und weiter am Damm entlang flammten andere auf. In ihrem unsicheren Schein sah man die Männer unermüdlich den Deich hinauf- und heruntersteigen. Fred stolperte wieder ins Feld hinunter; halb am Verzweifeln war er angesichts des wirren, ständig nachwachsenden Berges von Sandsäcken; im launischen Licht des Feuers wirkte er riesig. »Los, was wartest du! Nimm dir einen!« schrie ihn der Fahrer des Wagens an, der gerade am Abladen war.
Fred fiel wütend den nächsten der Säcke an. Der Abhang, so sanft er bei Tage auch aussah, jetzt schien er beinahe lotrecht geneigt und Meilen hoch. Er krampfte seine Fäuste in das grobe Gewebe des Sackes; seine Zehen spreizten sich und bohrten sich in das zertretene Gras des Abhangs; er biß die Zähne zusammen.
»Willst du Kaffee trinken?« fragte hinter ihm eine Frauenstimme. Er setzte ab und blickte sich um. Eine grobknochige Frau in einer verschmierten Schürze hielt ihm eine blecherne Tasse entgegen: »Es ist Zeit. Der Kaffee-Eimer ist da.« Er hielt die Tasse in seinen schmerzenden Fingern. Die Frau stellte vorsichtig einen großen Eimer zu Boden, hob den Deckel ab und schenkte ihm voll ein: Kaffee, so schwarz wie feuchter Schlamm aus dem Flusse. Der Dampf, der aus dem Eimer quoll, verbreitete einen erlesenen Duft.
»Vielen Dank!« sagte Fred und hockte sich ins Gras.
»Zucker?« erkundigte sie sich sachverständig und hielt ihm ein Stück Zeitungspapier hin, das zu einer Art von Tüte zusammengedreht war. »Greif nur hinein!«
Er tauchte seine Finger in den süßen Vorrat. »Teufel, das tut aber gut«, seufzte er.
Sie erhob ihre Stimme: »Mrs. Lyman! Mrs. Lyman! Hier ist noch ein Mann, der Hunger hat.«
Aus dem Schatten tauchte eine graue, vorgebeugte Frau; auch sie schleppte einen Eimer; er enthielt Gemüse und fettes Schweinefleisch. Sie reichte Fred einen Teller und einen Löffel aus Zinn und legte ihm gewaltig auf. »Das muß man sagen, ihr haltet euch ordentlich an die Arbeit, ihr Männer. Und Pausen macht ihr wohl überhaupt nicht!« bemerkte Mrs. Lyman, während er wie ein Wolf zu schlingen begann. Obgleich er seine Knochen kaum noch rühren konnte, lächelte Fred beglückt und stolz, so müde er war: zweimal war er in den letzten Minuten zu den Männern gezählt worden. So ein gutes Abendbrot hatte er sein Leben lang nicht gegessen. Selbst wenn daheim das Essen bitter knapp gewesen war, hatte er nicht solchen Hunger verspürt wie in den Stunden vor diesem Mahl!
»Bist du fertig mit dem Teller?« fragte Mrs. Lyman, als er den letzten Bissen aufgekratzt hatte. »Dann gib ihn wieder her, damit ich mir den nächsten Hungrigen suche!«
Sie wankte in die Dunkelheit davon. Fred sprang wieder auf die Füße. Wie gut solch heißes Mahl doch tat! Jetzt brauchte er vor seinem Sandsack nicht mehr zu verzagen. Ein paar Dutzend Frauen wanderten durch die Dunkelheit mit Eimern voll Kaffee und Töpfen voll Fleisch; es waren die Frauen, die Mütter, die Töchter der Männer, die hier arbeiteten; sie stammten aus den Hütten in den Feldern. Sie nötigten die Männer eifrig,
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