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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hinaufsteigen, sich nicht das Kerzenlager ansehen? Es sind nur zwei Schritte.«
    Er wartete nicht einmal ihre Antwort ab, sondern zog sie mit sich auf die andere Seite der Place du Rosaire. Im Grunde wünschte er nur, Raymonde angenehm zu unterhalten. Das Schauspiel, das das Kerzenlager bot, war aber in Wirklichkeit noch weniger ergötzlich als die Packwerkstätten, aus denen sie herauskamen. Das Lager lag unter einem der Bogengänge rechter Hand und bestand aus einer Art Kirchengruft, einem tiefen Gewölbe, das Bauhölzer in weite Fächer abteilten. In diesen Fächern war der außerordentlichste Vorrat an Wachskerzen aufgeschichtet, die nach ihrer Größe ausgesucht und sortiert wurden. Hier schlief die Überfülle der der Grotte geschenkten Kerzen, die täglich so zahlreich gespendet wurden, daß besondere Wagen, in die die Pilger sie beim Gitter niederlegten, mehrmals in die Fächer entleert werden mußten. Dann fuhren sie zurück, um aufs neue gefüllt zu werden. Es war Grundsatz, daß jede geopferte Kerze zu den Füßen der Jungfrau verbrannt werden sollte. Aber es waren zu viele: zweihundert von allen Größen konnten Tag und Nacht flammen, aber niemals erschöpfte man diese schrecklichen Vorräte, deren Flut ohne Unterlaß stieg. Es ging das Gerücht, die Patres seien genötigt, wieder Wachs zu verkaufen. Gewisse Freunde der Grotte gestanden mit einer kleinen Beimischung von Stolz, der Ertrag aus den Kerzen sei hinreichend, um die ganze Geschichte im Gang zu erhalten.
    Die Menge allein verblüffte Raymonde und Frau Desagneaux. Welche Masse von Kerzen! Namentlich die kleinen, die zehn Sous bis zu einem Frank kosteten, waren in unberechenbarer Zahl aufgestapelt. Herr von Guersaint, der Ziffern verlangte, hatte sich in eine Statistik vertieft, in der er sich verlor. Pierre betrachtete stumm diese Haufen Wachs, die dazu bestimmt waren, zur Ehre Gottes im hellen Sonnenschein zu verbrennen. Und obwohl ihm der Nutzen nicht das höchste war, obgleich er den Luxus der Freude und der trügerischen Vergnügungen begriff, die den Menschen in gleicher Weise wie das Brot ernähren, so konnte er sich doch des Gedankens an die Almosen nicht entschlagen, die man mit dem Geld für all dieses Wachs, das in Rauch aufging, hätte geben können.
    »Und meine Flasche, die ich absenden soll?« fragte Frau Desagneaux.
    »Wir gehen ins Büro«, antwortete Gérard. »Das ist eine Angelegenheit von fünf Minuten.«
    Sie mußten die Place du Rosaire wieder überschreiten und die Treppe hinaufsteigen, die zur Basilika führte. Das Büro befand sich oben links, gerade am Eingang des Weges zum Kalvarienberge. Es war ein sehr ärmliches Gebäude, eine Hütte aus Brettern und Gips, vom Wind und Regen beschädigt. Sie trug eine hölzerne Tafel mit den Worten:
    »Wegen Messen, Geschenken, Bruderschaften wende man sich hierher. Versand von Lourdeswasser. Bestellungen auf die ›Annalen Unserer Lieben Frau von Lourdes‹ werden hier entgegengenommen.«
    Wie viele Millionen waren durch dies armselige Büro gegangen, das noch aus der Zeit zu stammen schien, da man den Grundstein zur benachbarten Basilika noch nicht gelegt hatte!
    Alle waren begierig, es zu sehen, und traten ein. Aber sie sahen nur einen Verschlag mit einem Schiebefenster. Frau Desagneaux mußte sich bücken, um die Adresse ihrer Freundin aufzugeben. Und nachdem sie einen Frank und siebzig Centimes bezahlt hatte, streckte man ihr eine winzige Quittung heraus, ein Stück Papier, das der Güterbeamte auf den Bahnhöfen abnimmt.
    Als sie wieder draußen waren, fuhr Gérard in seinen Erklärungen fort. Er zeigte auf ein weites Gebäude in zwei- oder dreihundert Meter Entfernung.
    »Betrachten Sie dort die Wohnung der Patres.«
    »Aber man sieht die Patres niemals«, bemerkte Pierre.
    Der junge Mann stand einen Augenblick still, ohne zu antworten.
    »Man sieht sie nie«, erwiderte er dann, »weil sie alles, die Grotte und das übrige, während der nationalen Pilgerfahrt an die Patres von Mariä Himmelfahrt abtreten.«
    Pierre betrachtete das aus behauenen Steinen aufgeführte Wohnhaus, das einem festen Schloß glich. Die Fenster wären geschlossen, man hätte glauben können, das Haus sei verlassen. Und doch ging alles von ihm aus und alles führte wieder zu ihm zurück. Während Pierre die stumme, furchtbare Bewegung eines Rechens zu vernehmen glaubte, der sich über das ganze Tal ausstreckte, das herbeigelaufene Volk zusammenraffte und das Gold und Blut der Massen zu den Patres brachte,

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