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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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schamlose Handel drängte sich an die Pilger bis zu den Zugängen zur Grotte. Nicht genug, daß er sich sieghaft in allen Krambuden einrichtete, von denen sich eine an die andere zwängte, so daß sie jede Straße in einen Basar verwandelten, er schwärmte auch auf dem Pflaster herum, versperrte den Weg und fuhr auf Handkarren seine Rosenkränze, Medaillen, Statuetten und Heiligenbilder von Ecke zu Ecke. Überall wurde gekauft, um von dieser heiligen Kirmes ein Andenken mitzubringen. Und als lebhafter Ton, als heitere Zugabe zu dieser Handelsgier und dem Gedränge von allem möglichen Kram kamen noch die durch die Menge brechenden Jungen, die das »Journal de la Grotte« ausriefen. Mit dünner, scharfer Stimme drang es zu aller Ohren: »Das Journal de la Grotte! Die Nummer von heute morgen! Zwei Sous, das Journal de la Grotte!«
    Durch das Gedränge der ohne Unterlaß sich bewegenden Menschenflut wurde die Gesellschaft getrennt. Raymonde und Gérard blieben zurück. Beide hatten mit einer Miene lächelnder Vertraulichkeit wie verloren und allein unter diesen Leuten leise zu plaudern begonnen. Frau Desagneaux mußte stehenbleiben und sie rufen.
    »Kommen Sie doch nach, wir werden uns sonst verlieren!«
    Während sie sich näherten, hörte Pierre das junge Mädchen sagen:
    »Mama ist so beschäftigt! Sprechen Sie mit ihr vor unserer Abreise!«
    »Gern, Sie machen mich sehr glücklich!«
    Die Heirat war also während dieses reizenden Spaziergangs zwischen den Wunderdingen von Lourdes errungen und fest beschlossen worden. Sie hatte gesiegt, und er war, als er sie heiter und verständig an seinem Arme fühlte, endlich zu einem Entschluß gekommen.
    Herr von Guersaint jedoch hob die Augen und rief:
    »Sind das da oben auf diesem Balkon nicht die reichen Leute, die mit uns gereist sind? Sie wissen doch, die junge, kranke Frau, die von ihrem Mann und ihrer Schwester begleitet war?«
    Er sprach von den Dieulafays, und in der Tat standen sie auf dem Balkon der Wohnung, deren Fenster auf die Rasenplätze vor der Rosenkranzkirche hinausgingen. Sie hatten hier den ersten Stock inne, der mit allem Luxus ausgestattet war, den Lourdes hatte bieten können, mit Vorhängen und Teppichen, ganz abgesehen von dem Dienstpersonal, das man schon im voraus von Paris hierher geschickt hatte. Da es schönes Wetter war, hatte man die in einem großen Armsessel liegende Kranke an die freie Luft gerollt. Sie war in ein Hauskleid aus Spitzen gehüllt. Der Gatte, immer im tadellosen Gehrock, stand an ihrer rechten Seite, während die Schwester lächelnd zu ihrer Linken saß und sich manchmal zu ihr neigte, um zu plaudern. Sie erhielt jedoch keine Antwort.
    »Wissen Sie!« erzählte die kleine Frau Desagneaux, »ich habe oft von Frau Jousseur sprechen hören. Sie ist die Frau eines Diplomaten, der sie trotz ihrer großen Schönheit verlassen hat. Man hat letztes Jahr viel von der Leidenschaft gesprochen, die sie für einen jungen, in der Pariser Welt wohlbekannten Oberst gefaßt hatte. Aber die katholischen Salons behaupten, sie habe diese Leidenschaft durch die Religion besiegt.«
    Alle sahen nach oben und betrachteten sie.
    »Sollte man glauben«, fuhr Frau Desagneaux fort, »daß ihre Schwester, die Kranke, die Sie dort sehen, ihr leibhaftiges Ebenbild war? Sie hatte sogar einen unendlich weicheren Zug von Güte und Fröhlichkeit in ihrem Gesicht. Betrachten Sie sie jetzt! Sie ist für die Welt gestorben, die Arme!«
    Hierauf versicherte Raymonde, daß Frau Dieulafay, die seit kaum zwei Jahren verheiratet war, alle Juwelen ihres Brautschmuckes mitgebracht habe, um sie Unserer Lieben Frau von Lourdes zum Geschenk zu machen. Gérard bestätigte dies, indem er auf Einzelheiten einging. Am Morgen hatte man ihm gesagt, die Juwelen sollten dem Schatz der Basilika übergeben werden, ganz zu schweigen von einer goldenen, mit Edelsteinen eingefaßten Laterne und einer für die Armen bestimmten großen Geldsumme, die sie außerdem gestiftet hatte. Aber die Heilige Jungfrau hatte sich noch nicht rühren lassen, denn der Zustand der Kranken schien sich eher zu verschlimmern.
    Von diesem Augenblick an sah Pierre nur noch diese junge Frau auf dem verschwenderisch ausgestatteten Balkon, dieses in seinem Reichtum so bedauernswerte Geschöpf, das über der fröhlichen Menge und über Lourdes thronte. Die zwei Wesen, die zärtlich über sie wachten, die Schwester, die ihre Erfolge in der Gesellschaft verlassen hatten, und der Gatte, der seine Bank

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