Lourdes
erklärte Gérard, »daß wir nicht traurig sind, trotz des harten Berufs, den wir ausüben. Die Pflegerschaft zählte mehr als dreihundert Mitglieder, aber es sind kaum hundertundfünfzig Tischgenossen anwesend. Denn man mußte zwei aufeinanderfolgende Mahlzeiten ansetzen, um den Dienst in der Grotte und den Spitälern zu erleichtern.«
Der Anblick der kleinen Gruppe von Besuchern, die auf der Schwelle stehengeblieben waren, schien aller Freude verdoppelt zu haben. Berthaud, der Vorsteher der Sänftenträger, der an einem Ende des Tisches saß, erhob sich höflich, um die Damen zu empfangen.
»Da riecht es ja sehr gut!« rief Frau Desagneaux in ihrer unbesonnenen Art. »Wollen Sie uns nicht einladen, morgen Ihre Küche zu versuchen?«
»Ach nein, keine Damen!« antwortete Berthaud lachend. »Aber wenn die Herren morgen mit uns speisen wollten, so würden sie uns das größte Vergnügen bereiten.«
Mit einem einzigen Blick hatte er das gute Einverständnis bemerkt, das zwischen Gérard und Raymonde herrschte. Er schien entzückt, er wünschte diese Heirat sehr für seinen Vetter. Darum lachte er über die Heiterkeit des jungen Mädchens, das ihn ausfragte.
»Ist das dort unten nicht der Marquis von Salmon-Roquebert, zwischen den beiden jungen Leuten, die man für Hausdiener halten möchte?«
»Vielleicht«, antwortete Berthaud, »es sind die Söhne eines kleinen Papierhändlers aus Tarbes. Und es ist der Marquis, Ihr Nachbar in der Rue de Lille, der Besitzer eines königlichen Palastes, einer der reichsten und edelsten Männer Frankreichs. Sehen Sie, wie er sich an unserem Hammelragout gütlich tut!«
So war es wirklich. Der Marquis mit seinen Millionen schien ganz glücklich, sich mit drei Frank im Tage zu beköstigen und demokratisch in Gesellschaft von kleinen Bürgern und sogar Arbeitern, die es nicht gewagt hätten, ihn auf der Straße zu grüßen, an einem Tisch zu sitzen. War diese dem Zufall anheimgegebene Tischordnung nicht die soziale Gemeinschaft in voller christlicher Liebe? Er hatte diesen Morgen um so größeren Hunger, als er mehr als sechzig, mit allen abscheulichen Leiden der traurigen Menschheit behaftete Kranke in den Weihern gebadet hatte. Und um ihn herum konnte er die Verwirklichung der evangelischen Gemeinschaft beobachten, aber ohne Zweifel war sie nur deshalb so reizend und so fröhlich, weil sie nicht länger als drei Tage dauerte.
Obwohl Herr von Guersaint vom Frühstück kam, war er doch neugierig, das Hammelragout zu kosten. Er erklärte es für vorzüglich. Während dieser Zeit hatte Pierre den Baron Suire, den Vorsteher der Pflegerschaft, entdeckt, der zwischen den zwei Tischreihen wichtig hin und her ging, als ob er es sich zur Aufgabe gemacht hätte, alles im Auge zu behalten, sogar die Art und Weise, wie sich sein Personal ernährte. Da erinnerte sich der Priester plötzlich des von Marie geäußerten, glühenden Wunsches, die Nacht vor der Grotte zuzubringen. Und er dachte, der Baron könnte ihm die gewünschte Erlaubnis bewilligen.
Dieser war bedenklich geworden.
»Gewiß«, antwortete er, »wir gestatten das bisweilen, aber es ist immer eine mißliche Sache! Sie versichern mir doch wenigstens, daß die junge Person nicht schwindsüchtig ist? Gut. Weil Sie sagen, daß sie so sehr darauf besteht, werde ich mit dem Pater Fourcade darüber reden, und ich will auch Frau von Jonquière davon in Kenntnis setzen, damit sie Ihnen gestattet, die Kranke fortzubringen.«
Im Grunde war er ein braver, guter Mann, trotzdem er sich das Ansehen gab, als wäre er unentbehrlich und mit der schwersten Verantwortlichkeit überhäuft. Er hielt die Besucher zurück und gab ihnen eine bis ins kleinste gehende Schilderung von der Organisation der Pfleger. Er führte die gemeinsam gesprochenen Gebete auf, dann sprach er von den täglich stattfindenden zwei Sitzungen des Verwaltungsrats, an denen alle Vorsteher des Dienstes sowie die. Patres und gewisse Geistliche teilnahmen. Man kommunizierte so oft als möglich. Es ergaben sich verwickelte Arbeiten, ein außerordentlicher Wechsel des Personals fand statt, kurz, es befand sich da eine ganze Welt, die zu regieren eine feste Hand beanspruchte. Er sprach wie ein General, der jedes Jahr einen großen Sieg über den Geist des Jahrhunderts davonträgt, und er schickte Berthaud zurück, um sein Frühstück zu beenden, da er die Damen bis in den kleinen, mit Sand bestreuten und von schönen Bäumen beschatteten Hof zurückführen wollte.
»Sehr
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