Lourdes
vernachlässigte, deren Millionen nach allen vier Enden der Erde rollten, trugen durch ihre tadellose Erscheinung noch zum peinlichen Eindruck der Gruppe bei. Für Pierre waren nur diese drei Personen noch vorhanden, die so unendlich reich und so unendlich elend zugleich waren!
Aber die fünf Spaziergänger, die auf der Straße standen und sich selbst vergaßen, waren jeden Augenblick in Gefahr, zermalmt zu werden. Ohne Unterlaß kamen auf den breiten Wegen Fuhrwerke daher, hauptsächlich rasch fahrende, mit vier Pferden bespannte Landauer, deren Schellen lustig klingelten. Es waren Touristen, Besucher der Bäder von Pau, Barèges und Cauterets, die die Neugier hierherführte. Sie waren entzückt vom schönen Wetter und erfreut durch die lebhafte Fahrt über die Berge. Da sie sich nur einige Stunden aufzuhalten gedachten, liefen sie in ihren für den Landaufenthalt berechneten Kleidern nach der Grotte und in die Basilika. Dann reisten sie wieder ab, lachend und zufrieden damit, alles gesehen zu haben. Familien in heller Sommertracht, Gesellschaften von jungen Frauen mit aufsehenerregenden Sonnenschirmen schwärmten unter der grauen Masse der Pilger herum.
Auf einmal stieß Frau Desagneaux einen Schrei aus.
»Wie! Du bist es, Berta?«
Und sie umarmte eine große, reizende Brünette, die mit drei anderen, laut lachenden und sehr lebhaften jungen Damen aus einem Landauer stieg. Die Stimmen klangen durcheinander, leise Rufe ließen sich vernehmen, alles war entzückt, sich auf diese Weise getroffen zu haben.
»Wir sind in Cauterets, meine Liebe! Da haben wir den Plan gefaßt, alle vier hierherzufahren, wie alle Welt. Dein Mann ist wohl auch bei dir?«
Frau Desagneaux verneinte.
»Ach nein! Du weißt ja, er ist in Trouville. Am Donnerstag werde ich wieder mit ihm zusammenkommen.«
»Ja, ja, es ist wahr!« verbesserte sich die große Brünette, die gleichfalls das Aussehen einer liebenswürdigen, unbesonnenen Frau hatte. »Ich vergaß, du bist bei der Pilgerfahrt. Aber sag einmal –«
Wegen Raymonde, die lächelnd dabei stand, dämpfte sie ihre Stimme.
»Sag einmal... wie steht es mit dem Kleinen, das so lange ausbleibt. Du hast doch die Heilige Jungfrau darum gebeten?«
Frau Desagneaux errötete ein wenig und flüsterte ihr ins Ohr:
»Ja, allerdings, schon seit zwei Jahren, und ich versichere dich, es ärgert mich recht, daß sich so lange nichts zeigt. Aber dieses Mal glaube ich, ist es so weit. Lache nicht! Ich habe ganz bestimmt etwas gespürt, als ich diesen Morgen in der Grotte betete.«
Das Lachen gewann jedoch die Oberhand über sie selbst, alle schrien durcheinander und belustigten sich wie Närrinnen. Unmittelbar darauf erbot sie sich, ihnen als Führer zu dienen, sie versprach, ihnen alles in weniger als zwei Stunden zu zeigen.
»Kommen Sie doch mit uns, Raymonde! Ihre Mutter wird sich nicht beunruhigen.«
Sie tauschten Grüße mit Pierre und Herrn von Guersaint. Auch Gérard verabschiedete sich, er drückte zärtlich die Hand des jungen Mädchens, wie um sie sich endgültig zu verpflichten. Dann entfernten sich die Damen und schlugen die Richtung nach der Grotte ein. Es waren ihrer sechs, die sich glücklich fühlten, zu leben und den köstlichen Reiz ihrer Jugend mit sich herumtrugen.
Als Gérard ebenfalls weggegangen und zu seinem Dienst zurückgekehrt war, sagte Herr von Guersaint zu Pierre:
»Und unser Barbier auf der Place du Marcadale? Ich muß doch zu ihm gehen. Sie begleiten mich doch, nicht wahr?«
»Gewiß, wohin Sie wollen. Ich gehe mit Ihnen, weil Marie unser nicht bedarf.«
Sie gingen durch die Alleen von weiten Rasenplätzen, die sich vor der Rosenkranzkirche ausbreiten, und erreichten die neue Brücke. Dort kam es aufs neue zu einer Begegnung, sie trafen den Abbé des Hermoises, der zwei jungen Damen, die am Morgen von Tarbes angekommen waren, als Führer diente. Er ging in ihrer Mitte mit der Miene eines artigen Weltpriesters, zeigte und erklärte ihnen Lourdes und vermied es, sie auf dessen unangenehme Seiten aufmerksam zu machen, auf die Armen, die Kranken, den ganzen Geruch des tiefen menschlichen Elends, das an diesem schönen, sonnigen Tag beinahe verschwunden war.
Beim ersten Wort des Herrn von Guersaint, der ihm vom Mieten eines Wagens für den Ausflug nach Gavamie sprach, schien er zu befürchten, seine hübschen Begleiterinnen verlassen zu müssen. Denn er sagte eilig:
»Ganz wie Sie wollen! Bitte, besorgen Sie das, und Sie haben ganz recht, zum billigsten Preis.
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