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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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fuhr Gérard mit leiser Stimme fort:
    »Und da! Sie sehen wohl, daß sie sich zeigen. Da kommt gerade der ehrwürdige Pater Rektor Capdebarthe.«
    In der Tat ging ein Ordensmann vorüber, ein Bauer mit knorrigem Leib und einem dicken, wie mit Beilhieben zugehauenen Kopf. In seinen undurchsichtigen Augen war nichts zu lesen, und sein trügerisches Gesicht hatte eine fahle Gesichtsfarbe, einen roten und finsteren Widerschein des Erdbodens. Monsignore Laurence hatte seinerzeit eine wirklich kluge Wahl getroffen, als er die Einrichtung und den Betrieb der Grotte diesen zähen und rauhen Missionaren von Garaison anvertraute, die fast alle Söhne von Gebirgsbewohnern sind und die den Boden ihrer Heimat leidenschaftlich lieben.
    Die fünf gingen dann über das Plateau de la Merlasse wieder hinab, den breiten Wall, der sich links um die Rampe schlingt und der in die Avenue de la Grotte mündet. Es war schon ein Uhr, aber das Frühstück dauerte in der ganzen, von Volk überströmenden Stadt noch fort. Die fünfzigtausend Pilger und Neugierigen hatten an den zur Verfügung stehenden Speisetischen noch nicht alle Platz nehmen und sich sättigen können. Pierre, der im Gasthof eine vollbesetzte Tafel verlassen und soeben gesehen hatte, wie wohlgemut sich die Pfleger am Tische des »Kasinos« zusammenzwängten, fand überall wieder Eßtische, nur Eßtische. Überall wurde gegessen und immer wieder gegessen. Hier, unter freiem Himmel, auf beiden Seiten der breiten Straße fiel das niedrige Volk über die Tische her, die man auf dem Bürgersteige gedeckt hatte, einfach aus langen, auf beiden Seiten mit Sitzbänken versehenen Brettern bestanden und von einem engen Leinwandzelt überdeckt wurden. Es wurden darin Fleischbrühe und Kaffee zu zwei Sous die Tasse ausgeschenkt. Die Brötchen in hohen Körben kosteten ebenfalls zwei Sous. An den Stäben aufgehängt, die das Zelt trugen, baumelten Stränge von dicken Würsten, Schinken und Fleischwürstchen. Einige dieser fliegenden Speisewirte brieten Kartoffeln in der Pfanne, andere richteten geringe Fleischsorten mit Zwiebeln zu. Ein beißender Rauch und starke Gerüche, mit dem Staub vermischt, den das fortwährende Getrampel der Spaziergänger aufwirbelte, stieg in die sonnenheiße Luft empor. Vor jedem Speisezelt bildeten die Kunden eine lange Reihe und warteten geduldig, die Tischgäste lösten einander ab und ließen sich auf den Bänken nieder, auf dem der Breite nach kaum zwei Suppenteller Platz fanden. Alle beeilten sich und aßen gierig infolge jener unersättlichen Eßlust, die sich nach großen moralischen Erschütterungen einstellt. Da kam das Tier wieder zum Vorschein, und es stopfte sich voll, nachdem es sich in unzähligen Gebeten erschöpft und im Himmel der Legenden die leiblichen Bedürfnisse vergessen hatte. Es entwickelte sich unter dem strahlenden Himmel dieses schönen Sonntags ein wahres Jahrmarktstreiben: man konnte die Gefräßigkeit eines Volkes in seiner Vergnügungslust und trotz der abscheulichen Krankheiten und der nur allzu selten eingetretenen Wunder die Freude am Leben beobachten.
    »Was wollen Sie? Sie essen und unterhalten sich!« sagte Gérard, der die Betrachtungen der liebenswürdigen Gesellschaft erriet, die er spazierenführte.
    »Ach!« murmelte Pierre, »das ist ganz gerecht und billig. Die armen Leute!«
    Er war lebhaft berührt von der Rache, die die Natur nahm. Aber als sie sich wieder unten am Wall befanden, auf dem Weg zur Grotte, wurde er durch die Zudringlichkeit der Kerzen- und Blumenverkäuferinnen verletzt, die unter den Vorübergehenden herumschweiften und sie mit eroberungslustiger Ungeschliffenheit überfielen. Es waren meistens junge Frauen in bloßen Haaren oder mit einem Taschentuch auf dem Kopf, die sich überaus unverschämt zeigten. Die alten Weiber waren aber kaum bescheidener. Alle trugen ein Bündel Kerzen unter dem Arm, schwangen sie in der Luft herum und drückten ihre Ware den Spaziergängern in die Hände. »Mein Herr! Gnädige Frau! Kaufen Sie mir eine Kerze ab, das wird Ihnen Glück bringen!« Ein Herr, der von drei der Jüngsten angerempelt und umringt worden war, hätte fast die Schöße seines Rockes dabei eingebüßt.
    Genau so war es mit den Blumensträußen, mit dicken, runden, kohlkopfähnlichen Sträußen, die roh mit Bindfaden umwickelt waren. »Einen Blumenstrauß, gnädige Frau! Einen Strauß für die Heilige Jungfrau!« Wenn die Dame entschlüpfte, hörte sie hinter sich grobe Schimpfreden. Der Handel, der

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