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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sein klares Denken verwirrte sich, da er fühlte, daß seine These ins Schwanken geriet.
    In Lourdes war ungeheure Aufregung. Scharen von Menschen strömten herbei, Wunder fingen an zu geschehen, während die unvermeidlichen Verfolgungen nicht ausblieben, die den Triumph der neuen Glaubenssätze bestätigten. Der Kurat von Lourdes, Abbé Peyramale, ein gelehrter, ehrenwerter Mann mit rechtschaffenem Sinne und gesundem Verstande, konnte mit vollem Recht sagen, er kenne dieses Kind gar nicht, da er es noch niemals im Katechismusunterricht gesehen habe. Wo war also die treibende Kraft, die eingelernte Lektion? Es lag nichts anderes vor als die in Bartrès verlebte Kindheit, der erste Unterricht durch den Abbé Ader, vielleicht Gespräche, religiöse Zeremonien zur Ehre des neuen Dogmas oder eine Medaille, wie man sie in Unmengen verbreitet hatte. Niemals durfte der Abbé Ader sich zeigen, der die Mission der Seherin prophezeit hatte. Er sollte der Geschichte der Bernadette fernbleiben, nachdem er der erste gewesen war, der gemerkt hatte, wie diese kleine Seele unter seinen frommen Händen sich zu regen anfing. Die unbekannten Kräfte des weltverlorenen Dorfes, dieses grünen Erdenwinkels, voll von Beschränktheit und Aberglauben, fuhren fort, sich geltend zu machen, indem sie die Sinne verwirrten und die ansteckende Krankheit des Mysteriums verbreiteten. Man erinnerte sich, daß ein Schäfer von Argelès bei einem Gespräche über den Felsen von Massabielle vorausgesagt hatte, daß sich große Dinge dort ereignen würden. Kinder gerieten in Verzückung, wobei ihre Glieder von Krämpfen geschüttelt wurden. Aber sie sahen den Teufel. Ein Wahnsinnsrausch schien die ganze Gegend gepackt zu haben. In Lourdes erklärte eine alte Dame, Bernadette sei nichts als eine Hexe. Sie habe den Krötenfuß in ihrem Auge gesehen. Für die anderen, für die Tausende der herbeigeströmten Pilger war sie eine Heilige, deren Kleider sie küßten. Lautes Schluchzen ertönte und eine wilde Glaubensraserei bemächtigte sich aller Seelen, wenn sie vor der Grotte auf die Knie niederfiel, in der rechten Hand eine brennende Kerze haltend, während sie durch ihre linke Hand die Perlen ihres Rosenkranzes im Gebete gleiten ließ. Sie wurde dann sehr blaß, sehr schön und wie verklärt. Langsam kam Leben in ihre Züge. Sie nahmen einen Ausdruck ungewöhnlicher Seligkeit an, während sich ihre Augen mit Glanz füllten und der halbgeöffnete Mund sich bewegte, als wenn er Worte aussprechen wollte, die niemand hören konnte. Es stand fest, daß sie nicht mehr ihren eigenen Willen hatte, daß ihr Traum sie ganz erfüllte, so daß sie ihn selbst im wachenden Zustand fortträumte, daß sie ihn für die unanfechtbare Wirklichkeit ansah, bereit, diese um den Preis ihres Lebens zu bekennen, sie immer wiederholend und so mit allen Einzelheiten in ihren Gedanken festhaltend. Sie log nicht, denn es lag ihr fern, etwas anderes zu wollen, sie konnte es gar nicht und wollte es auch gar nicht.
    Pierre vergaß sich jetzt und entwarf ein reizendes Bild von dem alten Lourdes, dem kleinen, frommen Städtchen, das am Fuße der Pyrenäen schlummerte. Früher war das Schloß, auf einem Felsen am Kreuzungspunkt der sieben Täler des Lavedan gelegen, der Schlüssel der Berge. Jetzt aber ist es geschleift und nur noch ein altes Mauerwerk am Eingange eines engen Tales. Hier stieß das moderne Leben gegen die furchtbare Mauer der gewaltigen schneebedeckten Bergriesen. Nur die transpyrenäische Eisenbahn würde, wenn man sie erbaut hätte, etwas Bewegung in das Leben gebracht haben, das in diesem weltverlorenen Winkel träumte. Von der Welt vergessen, schlummerte Lourdes glücklich und träge in seinem jahrhundertelangen Frieden mit seinen engen Straßen, mit seinen schwarzen Häusern und seiner marmornen Umrahmung. Die alten Häuser gruppierten sich um den östlichen Fuß des Schloßberges, die Straße nach der Grotte, die Rue du Bois hieß, war ein verlassener, unbefahrbarer Weg. Die Häuser gingen nicht bis zum Gave hinunter, der damals seine schäumenden Wellen durch eine tiefe Einsamkeit von Weiden und hohen Gräsern rollte. Auf der Place du Marcadal sah man selten Menschen, Hausfrauen, die rasch dahineilten oder kleine Rentner, die ihre Mußezeit zum Spazierengehen verwendeten. Man mußte warten, bis ein Sonntag oder die Meßzeit kam, um auf dem Gemeindeplatz die sonntäglich gekleidete Bevölkerung zu finden. Während der Badesaison brachten die Badegäste von Cauterets

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