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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sie, ohne es zu wissen, Klagen aus. Vielleicht sahen sie, wie die Erzengel in ihr Fleisch schnitten, um ihr Übel herauszureißen. Andere waren von Schlaflosigkeit gequält. Sie warfen sich hin und her, seufzten tief und schwer und starrten unverwandt in das Halbdunkel. Pierre, der sich in großer Aufregung befand, verwünschte schließlich seine Vernunft und war entschlossen zu glauben. Was hatte die physiologische Untersuchung über Bernadette, die so verwickelt und so voller Lücken war, für einen Zweck? Warum wollte er sie denn nicht für eine Auserwählte des göttlichen Unbekannten ansehen? Die Ärzte waren Stümper mit rohen Händen, während es herrlich sein mußte, in dem Glauben der Kinder, in dem Zaubergarten des Unmöglichen einzuschlummern. Er versuchte nicht mehr, sich etwas zu erklären, und nahm die Seherin, wie sie war, mit all ihrem überreichen Gefolge von Wundern und überließ es dem lieben Gott, für ihn zu denken und an seiner Stelle zu wollen. Er blickte durch das Fenster hinaus, das man der Schwindsüchtigen wegen nicht zu öffnen gewagt hatte. Er sah in die tiefe Nacht, die sich auf die Gefilde herabgesenkt hatte, durch die der Zug raste. Der nächtliche Himmel war von einer wunderbaren Reinheit. Helle Sterne funkelten auf dunklem Samt und beleuchteten mit ihrem geheimnisvollen Lichte die stummen Gefilde. Durch die Heiden, durch die Täler und an den Hügeln vorüber rollte der Zug voller Elend und Leiden weiter und weiter, überheiß und verpestet, bejammernswert, inmitten der Reinheit dieser hehren, so schönen und süßen Nacht.
    Um ein Uhr morgens hatte man Riscle passiert. Tiefes Stillschweigen herrschte, das nur von den regelmäßigen Stößen der Wagen und von den gelegentlichen Seufzern eines Kranken unterbrochen wurde. Um zwei Uhr in Vic de Bigorre begann dumpfes Stöhnen und Klagen, der schlechte Zustand der Bahn verursachte den Kranken viele Beschwerden. In Tarbes endlich unterbrach man um zwei und ein halb Uhr das Stillschweigen. Man sprach die Morgengebete, obgleich es noch vollständig Nacht war. Das Vaterunser, das Ave und das Credo wurden gebetet und Gott angefleht um das Glück eines ruhmwürdigen Tages. O mein Gott! Gib mir genug Kraft, auf daß ich alles Schlimme vermeiden, alles Gute ausüben und alle Schmerzen ertragen kann!
    Jetzt wurde nicht wieder angehalten als in Lourdes selbst. Noch dreiviertel Stunden, und Lourdes zeigte sich, mit seinem hoffnungsreichen Glanze in die lange und bange Nacht hinausstrahlend. Beim Erwachen bemächtigte sich aller eine heftige Aufregung. Die Leiden begannen von neuem.
    Besonders beunruhigte sich Schwester Hyacinthe des fremden Mannes wegen. Er hatte bis jetzt noch gelebt. Sie war bei ihm geblieben, ohne einen Augenblick die Lider zu schließen. Auf den leisesten Atemzug hatte sie aufgepaßt, da es ihr sehnlichster Wunsch war, ihn wenigstens noch lebend nach Lourdes zu bringen.
    Plötzlich bekam sie Angst und wandte sich daher an Frau von Jonquière mit den Worten:
    »Ich bitte Sie, reichen Sie mir rasch die Flasche mit dem Weinessig herüber ... Ich höre ihn gar nicht mehr atmen.«
    In der Tat hatte der Mann seit einem Augenblick sein leises Atmen ganz eingestellt. Seine Augen waren immer fest geschlossen und sein Mund halb geöffnet. Seine Blässe aber hatte nicht zunehmen können. Er war kalt und sein Gesicht von der Farbe der Asche.
    »Ich werde ihm die Schläfen reiben«, begann die Schwester von neuem. »Bitte, helfen Sie mir.«
    Plötzlich fiel der Mann bei einem heftigen Stoße des Wagens mit dem Gesicht nach vorn.
    »O mein Gott! Helfen Sie mir doch, richten Sie ihn doch wieder in die Höhe!«
    Man richtete ihn wieder empor. Er war tot. Man mußte ihn in eine Ecke zurücksetzen und seinen Rücken gegen die Scheidewand lehnen. Er blieb sitzen, sein Körper war schon steif geworden, nur der Kopf wackelte noch etwas bei jedem Stoße. Der Zug raste weiter, während die Lokomotive gellende Pfiffe ausstieß, die wie ohrenzerreißende Fanfaren durch die Stille der Nacht hallten.
    Eine nicht enden wollende halbe Stunde in Gesellschaft des Toten folgte, und dann war die weite Reise zu Ende. Dicke Tränen waren über die Wangen der Schwester Hyacinthe herabgerollt. Dann hatte sie die Hände gefaltet und zu beten angefangen. Der ganze Wagen zitterte vor Entsetzen über diesen schrecklichen Gefährten, den man zu spät zur Heiligen Jungfrau brachte. Aber die Hoffnung war stärker als der Schrecken, der Jubelgesang ertönte nicht weniger

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