Love is a Miracle
mich nicht. Es brennt weiter, und der Regen peitscht mir in die Augen, und der Rauch dringt mir in Mund und Nase, metallisch, fleischig. Ich würge, falle auf die Knie. Der Boden ist nass unter mir und ich starre darauf, Schlamm und Kiefernnadeln quellen um mich herum auf. Ich sehe nur noch Carls Augen, so leer, so blicklos, und Sandras Augen, so voll Grauen. Ich sehe Carls steife, leere Hand und Sandras Hände, die verzweifelt um sich krallen, und ich kann nicht mehr. Ich will es nicht sehen. Will überhaupt nichts mehr sehen.
Ich muss Hilfe holen. Henry. Der Pilot. Es ist doch seine Maschine. Er wird wissen, was zu tun ist. Er kann helfen. Ich muss ihn finden, schnell.
Aber ich kann nicht. Ich finde ihn nicht. Ich finde ja nicht mal das Cockpit. Nur ein Stück davon, verbogenes Metall mit zertrümmerten Messgeräten, aber Henry ist fort, genau wie die Tür, die er hinter sich geschlossen hat, ehe wir gestartet sind. Es ist fast so, als sei er nie im Flugzeug gewesen.
Ich will Henry nicht mehr finden. Ich will nicht sehen, was von ihm übrig ist.
Was jetzt? Ich will mich nicht mehr umschauen, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Ich bin nass und das Feuer brennt weiter, überall um mich herum züngeln Flammen. Ich weiß nicht, wie ich da durchkommen soll. Wenn doch nur jemand da wäre. Meine Füße tun weh. Warum liegt da eine Mütze auf dem Boden?
Walter. Es ist Walters Mütze. Wo ist er? Warum sehe ich seine Mütze, ihn aber nicht? Vielleicht hat er sie verloren, so wie ich meine Brezeln. Vielleicht irrt er auch irgendwo herum.
»Walter?«, rufe ich. Der Regen spült meine Stimme fort.
Ich rufe wieder seinen Namen. Er antwortet nicht, aber da ist etwas, näher zu den Bäumen hin, ein anderes Wrackteil, das nicht brennt. Es ist kein großes Stück, aber groß genug, dass jemand darunterpasst, und es liegt einfach da, regenüberströmt. Ich gehe darauf zu und rufe »Walter!«.
Er antwortet nicht, aber er ist da. Ich kann seinen Hinterkopf sehen. Ich stemme mich gegen das Metall. Es rührt sich nicht. Ich schiebe mit aller Kraft und esscharrt langsam über felsigen Grund, gibt eine flache Mulde zwischen zwei großen Steinbrocken frei.
Walter ist da. Er liegt in der Steinmulde. Im Trockenen. Seine Augen sind geschlossen, aber ich sehe kein Blut, und ich weiß, dass er nur aufwachen muss, so wie ich vorher. Ich fasse ihn an der Schulter.
Dann sehe ich seine Beine.
Beine, die keine mehr sind. Sie … sie sind völlig zermalmt, zerfetzt. Aber sein Mund steht offen, und er schreit nicht, sondern sieht aus, als ob er schläft. Ich kneife die Augen zu, sage mir, dass es eine Sinnestäuschung war, dass ich das eben gar nicht gesehen habe, und gleich werde ich ihn aufwecken, und dann ist alles wieder gut.
»Wach auf, Walter«, sage ich, aber seine Augen bleiben zu. Der Wind weht, erfasst sein Haar und zerrt daran, peitscht Regen über uns, Wasser, das nur so herunterschießt, das ihn aufweicht, das ihm in seine Beine läuft, die keine mehr sind.
Ich falle. Ich laufe nicht, falle aber trotzdem. Ich treffe hart auf dem Boden auf und mein Mund ist voll Erde. Der Regen platscht weiter herunter. Ich sehe Walters Mütze, die noch am Boden liegt. Ich müsste aufstehen und sie holen, aber ich will mich nicht bewegen. Will nichts mehr sehen.
Hinter mir ist es warm. Ich spüre Hitze in meinem Rücken, meinen Beinen und meinen Fußsohlen. Das Feuer breitet sich aus. Jetzt höre ich es auch. Es knattert und zischt.
Walters Mütze wird weggeweht. Der Wind reißt sie in die Luft hinauf, in die Bäume hinein.
Die Bäume. Das hatte ich ganz vergessen. Ich habe sie gesehen, aber vergessen, wo sie waren. Ich schaue hinauf. Wütend sehen sie aus. Biegen sich im Wind, peitschen herum, als wollten sie etwas packen. Mich vielleicht? Ich kann Walters Mütze nicht mehr sehen. Die Bäume haben sie verschlungen. Hätte ich nur nicht hingeschaut.
Mein Kopf fühlt sich so merkwürdig heiß an und ich fasse schnell hin. Meine Haare stehen in Flammen. Die Haarspitzen brennen, schnurren zischend zusammen.
Ich reiße die Augen auf, und dann renne ich. Ich weiß nicht, wie oder wohin, aber ich renne. Ich bin so schwerfällig und ich stürze, lande hart auf dem Boden. Steine bohren sich in meine Haut, der Regen, der nach Erde und Metall auf meinen Lippen schmeckt, pladdert auf mich herunter und der Himmel über mir flammt in einem dunstigen Orangerot. Ich denke an Carl, wie er am Boden liegt, und an Sandra, die verzweifelt ihre
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