Love Train
mir, und was nicht gut aussah, wurde unter dem kritischen Blick meiner Schwester sofort aussortiert.
Am Ende hatten wir immer noch einen guten Arm voll toller Klamotten, die Juli durch ein paar Basics wie BHs und Bikini, Slips und Socken sowie ein kitschiges Snoopy-Sleepshirt ergänzte. Dann ging sie zur Kasse und bezahlte. Ich kam mir ein kleines bisschen vor wie in Pretty Woman, als Edward die Kreditkarte zückt und Vivian komplett neu einkleidet. Habe ich schon erwähnt, dass ich nicht nur eine Schwäche für romantische Bücher, sondern auch für Liebesfilme habe?
»Danke«, sagte ich, als wir mit Tüten bepackt wieder auf die Rue Neuve hinaustraten, und ich meinte es genau so.
»Gern geschehen.« Juli grinste. Der Shoppingtrip hatte sie in beinahe ekstatisch gute Laune versetzt. »War mir ein Vergnügen.«
»Dafür lade ich dich jetzt zu einer Portion Pommes ein«, schlug ich groÃzügig vor.
Bevor wir die Tüten ins Hostel brachten, das gleich um die Ecke lag, spendierte Juli mir noch einen billigen Reiserucksack aus einem Ramschladen. Dann bummelten wir in seltener Eintracht die Rue Neuve hinauf, bis wir an ihrem Ende zur Place de la Monnaie kamen, wo das imposante Gebäude der alten Börse mit dem säulengestützten Portal steht â dort sollte es eine gute Frittenbude geben, behauptete zumindest meine Brüssel-App. In dem rot gestrichenen Laden gab es zu unserem groÃen Vergnügen Pommes-Sandwichs auf der Karte, also Fritten in einem Stück aufgeschnittenem Baguette. Sie schmeckten gar nicht mal schlecht!
Manneken Pis war laut der Karte auf meinem Handy nicht weit entfernt, also statteten wir dem pinkelnden Knaben einen Besuch ab, nachdem wir uns die Bäuche mit Pommes vollgeschlagen hatten.
»Und um diesen winzigen Pillermann machen alle so einen groÃen Wirbel?«, fragte Juli spöttisch, als wir uns so weit durch die Touristengruppen gedrängt hatten, dass wir durch das hohe Gitter einen guten Blick auf die eher unscheinbare Bronzestatue werfen konnten.
»Na hör mal, das ist doch noch ein Kleinkind«, wies ich Juli zurecht, aber insgeheim stimmte ich ihr zu. Was an diesem Wahrzeichen von Brüssel so toll sein sollte, konnte ich auch nicht nachvollziehen.
Wir liefen ohne Plan durch ein paar Gassen, bis wir an einem Secondhandladen vorbeikamen, in dem Juli eine weitere Stunde mit Shoppen verbrachte. Ich hatte davon für heute genug und setzte mich auf eine Stufe vor dem Geschäft, zog mein Tagebuch aus meinem kleinen Rucksack â von dem ich mich für den Rest der Reise ganz sicher keine Sekunde mehr trennen würde â und schrieb alles auf, was an diesem Tag passiert war, der so mies begonnen und sich so überraschend positiv entwickelt hatte!
»Darf ich mal lesen?« Juli trat mit zwei weiteren Tüten beladen aus der Tür und linste mir über die Schulter. Eilig klappte ich das Tagebuch zu.
»Ganz bestimmt nicht!«
»Na, komm schon, ich lach auch nicht.« Sie griff nach der Kladde in meiner Hand.
»Finger weg«, giftete ich. Ich erinnerte mich noch zu gut an das erste und einzige Mal, als Juli etwas von mir Verfasstes in die Finger bekommen hatte. Ich war noch in der Grundschule und hatte gerade begonnen, Geschichten über ein supernettes Mädchen und seine garstige groÃe Schwester in ein Schulheft zu schreiben. Auch wenn ich erfundene Namen verwendete, waren die Personen natürlich leicht zu identifizieren! Eines Tages, während ich bei meiner besten Freundin Sue zum Spielen war, hatte Juli in meinem Schreibtisch gewühlt und das Heft gefunden. Als ich nach Hause kam, zog sie mich damit auf, wie blöd die Geschichten seien, und machte sich über meine Rechtschreibfehler lustig.
Doch das Schlimmste war nicht Julis Spott, sondern das ernste Gespräch, das meine Mutter damals mit mir führte. Ich solle bitte nicht so gemeine Sachen über meine Schwester schreiben, hatte sie gesagt, weil ich Juli damit verletzen würde, über Probleme könnten wir doch sprechen und gemeinsam Lösungen finden. Wirklich, so hat sie es formuliert. Na ja, sie ist ja auch Lehrerin.
Fortan schloss ich meine Schublade gut ab und erfand keine Geschichten mehr, die von Juli handelten. Aber natürlich habe ich mich an ihr gerächt: Ich schnitt ihrer Lieblingsbarbie die Haare mit meiner Bastelschere ab, raspelkurz!
»Denk an das Schicksal von Glitzerbarbie«, warnte
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