Love Train
Mutter anrief und nach Hause zurückfuhr, weil das bedeutet hätte, dass auch für Juli die Reise gelaufen war, fragte ich: »Also, was schlägst du vor?«
»Hm.« Das nächste Stück dunkelbrauner Schokokuchen wanderte in Julis rot geschminkten Mund. Für ein Möchte gernmodel war sie ganz schön versessen auf SüÃigkeiten. Sie kaute genüsslich, dann stützte sie ihren Ellenbogen auf den Tisch, legte ihr Kinn in die Handfläche und fixierte mich aus ihren groÃen blauen Augen.
»Erst mal kannst du ein paar Sachen von mir leihen. Ich habe wirklich genug dabei.« Ihren Rucksack hatten wir mittlerweile ja auch wohlbehalten in der Jugendherberge deponiert. Ich lachte humorlos. Als ob ich jemals Julis Klamotten anziehen würde. Darin käme ich mir bis zur Unkenntlichkeit verkleidet vor!
»Ach, komm, so schlimm kann es doch wohl selbst für dich, auch bekannt als Miss Baggy, nicht sein, mal ein paar ordentliche Klamotten anzuziehen.« Julis roter Mund verzog sich zu einem Schmollen. Aber auch wenn mir die Sachen meiner Schwester vermutlich tadellos gepasst hätten â auÃer, dass sie um den Busen herum etwas weit waren â, konnte ich mir im Leben nicht vorstellen, mich in ihre schrägen Designer-Fummel und Vintage-Looks zu hüllen.
»Na gut«, lenkte Juli erneut ein. »Dann gehen wir eben shoppen.« Ihre Augen fingen an zu leuchten. Nichts auf der Welt macht meine Schwester so glücklich, wie Klamotten einzukaufen.
»Klar. Und vorher klauen wir irgendjemandem das Portemonnaie.« Ich schüttelte bloà den Kopf. Woher sollte ich das Geld nehmen, um mir eine komplette neue Reisegarderobe zuzulegen?
»Hm«, machte Juli wieder und schien zu überlegen, dann grinste sie mich verschwörerisch an. Ich fragte mich, ob mir das Grinsen nur deshalb teuflisch vorkam, weil ich von meiner Schwester immer das Schlimmste erwartete. »Neuer Vorschlag«, sagte sie. »Wir gehen shoppen und ⦠ich bezahle!«
»Was?« Ich musste mich verhört haben. »Du willst mir meine Klamotten bezahlen? Aber von welchem Geld?«
»Das lass mal meine Sorge sein«, gab Juli schwammig zurück. »Ich hab von Oma ein bisschen was zum Abi bekommen.« Na, das klärte die Frage. Meine Schwester war schon immer die absolute Lieblingsenkelin unserer Oma und wurde von ihr von vorn bis hinten verhätschelt.
»Es gibt nur eine Bedingung«, fuhr Juli fort. Das war typisch! Ich hatte noch gar nicht zugestimmt, und schon fing meine Schwester an, Bedingungen zu stellen.
»Lass hören.«
»Ich suche die Sachen aus.«
»Vergiss es.«
»Ein bisschen mehr Vertrauen in deine Schwester wäre schön.« Juli tat beleidigt. »AuÃerdem bekommst du noch etwas gratis dazu: mein hochheiliges Versprechen, dass ich alles tun werde, damit wir es schaffen, Tobias und Felix die Konzerttickets abzuknöpfen. Ich gelobe feierlich, dass du diesen schwulen Joey live auf der Bühne zu sehen bekommst! Also, was sagst du?« Sie sah mich eindringlich an, und in ihren Augen las ich neben wilder Entschlossenheit noch etwas, das ich zunächst nicht deuten konnte. Doch dann begriff ich. Es war eine Bitte.
»Deal?«, fragte Juli.
Ich seufzte und zog den Schokoladenkuchen zu mir heran, bohrte die Gabel in die süÃe Masse und führte sie zu meinem Mund. Hmm! Das schmeckte unvergleichlich gut.
Juli war verrückt, so viel war klar. Aber wenn eine es schaffen konnte, diese Tickets zu gewinnen, dann war sie es. Ich seufzte noch einmal und warf alle guten Vorsätze und alle Vernunft für den Augenblick über Bord.
»Deal«, nuschelte ich mit vollem Mund.
Wünsche sind wie Wecker: Jedes Mal, wenn sich einer erfüllt , muss man aus einem Traum aufwachen .
aus Lenas Tagebuch
»Das ist perfekt!« Juli riss ein bordeauxfarbenes Shirt von der Stange, dessen geraffter Ausschnitt von einer groÃen schwarzen Schleife geziert wurde, und warf es auf den Kleiderberg auf meinen Armen. Ich seufzte stumm. Mir war längst klar, dass es eine blöde Idee gewesen war, mich auf diesen Deal einzulassen. Ich würde für den Rest der Reise aussehen wie ein entlaufener Zirkusclown! Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
Seit über einer Stunde rannte Juli kreuz und quer durch den H&M, den sie auf der belebten Einkaufsmeile Rue Neuve zielstrebig angesteuert hatte, und zog Klamotten hervor, die ich bei
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