Love Train
mich«, erklärte Tobias schlieÃlich selbstherrlich, nachdem der etwas verschlafene Kellner unsere Getränke vor uns abgestellt hatte. Es war klar, dass er nicht die Rechnung meinte.
»Moment mal«, protestierte Felix sofort. »Das waren die äuÃeren Umstände, die uns am Singen gehindert haben.«
»Na und?«, erwiderte Tobias angriffslustig. »Ich habe gesungen, ihr nicht. Zwei Punkte für mich, null für euch.«
»Ich schätze, Tobias hat recht«, stimmte meine Schwester zu. Ich versuchte, sie mit einem Blick zu ermorden, aber sie schaute mich gar nicht an, sondern hatte nur Augen für ihren neuen Lover.
»Ich finde, wir passen die Aufgabe an«, erklärte ich. »Wer sich traut, hier vor allen Leuten zu singen, hat wenigstens einen Ehrenpunkt verdient.« Ich hatte den Vorschlag ausgesprochen, bevor ich ihn zu Ende gedacht hatte. Singen in der Ãffentlichkeit â auch wenn es sich um eine französischsprachige Ãffentlichkeit handelte â, was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich stand eigentlich überhaupt nicht gern im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit!
»Das klingt nach einer guten Idee«, unterstützte Felix mich und forderte zur Abstimmung auf. »Wer ist dafür?« Seine Hand schnellte in die Höhe, meine folgte zögerlicher und schlieÃlich schloss sich auch Juli an. »Ãberstimmt«, erklärte Felix grinsend in Tobiasâ Richtung und wandte sich dann an Juli und mich: »Ladies first.«
Juli sah aus, als hätte sie den Mund voller saurer Drops, seufzte abgrundtief und stand auf. »Ihr habt es so gewollt«, sagte sie selbstironisch, dann sang sie »Like a virgin« â und es klang so scheuÃlich, dass sich einige der Gäste an den Nachbartischen entsetzt zu ihr umdrehten.
»Yeah«, grölte Tobias, als sie fertig war, und applaudierte übertrieben begeistert. »Und jetzt die andere Schwester.«
Ich stand ebenfalls auf, weit weniger selbstsicher, als Juli gewirkt hatte, dabei war meine Stimme gar nicht so schlecht â gutes Mittelmaà wie alles an mir. Ich holte tief Luft und stimmte »Dreamgirl« an. Wie alle Lieder von No Way kannte ich es auswendig und hatte es schon unzählige Male mitgesungen â natürlich nur in meinem Zimmer, wenn niemand zuhörte â, nun versuchte ich einfach so zu tun, als hörte mir auch hier niemand zu. Ich sang leise und die Gäste an den anderen Tischen widmeten sich wieder ihren Gesprächen, so spannend schienen ein paar singende Deutsche nicht zu sein. Trotzdem war es schwierig genug, die Blicke der drei anderen an unserem Tisch auf mir zu spüren.Also starrte ich in mein Colaglas und dachte ganz fest an Joey und daran, dass ich all das nur für ihn tat!
Ich bekam keinen Applaus, aber Felix zwinkerte mir aufmunternd zu, als ich endlich fertig war. »Nicht schlecht, dafür dass das Lied von No Way war«, zog er mich auf. »Und jetzt hör gut zu, denn ich werde dir beweisen, dass auch Linkin Park romantisch sein können.«
»Ha!«, machte ich. »Da bin ich aber gespannt.«
Felix stand nicht auf wie Juli und ich zuvor â wieso hatten wir das eigentlich gemacht?, dachte ich im Nachhinein. Er blieb sitzen, wo er war, lehnte sich nur ein Stück in seinem Stuhl vor und stützte die Hände auf der Tischplatte ab. Dann schloss er die Augen und fing an zu singen, und kaum hatte er die ersten Töne gesummt, begann etwas in mir zu vibrieren.
»When you feel youâre alone, cut off from this cruel world, your instincts telling you to run â¦Â« Felixâ Stimme war beim Singen rau und noch tiefer als normalerweise, er klang beinahe verletzlich. Auf seinem Gesicht aber spiegelte sich absolute Ruhe und Zufriedenheit, während er die melancholische Melodie und den traurigen Text sang.
»Remember youâre loved, and you always will be â¦Â« Ich musste schlucken, weil ich spürte, wie mir Tränen die Kehle hochstiegen und drohten einen dicken Knoten in meinem Hals zu bilden. Auf gar keinen Fall wollte ich vor den anderen losheulen. Aber dieses Lied und vor allem Felixâ Gesang berührten mich so sehr, dass ich beinahe vergaÃ, wo wir uns befanden.
Ich schloss ebenfalls die Augen und hörte nur noch zu. Remember youâre loved ⦠Meine Gedanken flogen zu Joey, und plötzlich fragte ich mich, was das für eine Liebe war, die ich für den No-Way
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