Love Train
Gitter. »Sie sind vorbeigegangen«, erklärte sie schlieÃlich leise.
»Puh.« Mit einem Seufzer stieà ich die Luft aus. »Dann lass uns schnell von hier verschwinden.«
»Und dann?« Juli klang herausfordernd. »Vielleicht erwischen sie uns doch noch. Die kommen bestimmt wieder. AuÃerdem sind sie womöglich nicht nur zu zweit. Was, wenn es noch mehr Security gibt? Oder Kameras?«
Mist! Mist! Mist! Warum war ich bloà auf diese dämliche Idee gekommen? Wieso hatte ich mich auf Tobiasâ idiotischen Vorschlag eingelassen? Was machte ich eigentlich hier?
»Nein«, erklärte meine Schwester entschieden. »Wir bleiben jetzt schön hier. Und um kurz vor Mitternacht machen wir uns auf den Weg zu Jimmy.« Mit kritischem Blick untersuchte sie den Boden, lieà dann mit einem weiteren Schulterzucken ihre Riesenhandtasche in den Staub fallen und setzte sich darauf. Ich betrachtete sie mit einem Kopfschütteln und kam nicht umhin, meine Schwester für ihre Coolness zu bewundern.
»Macht dir das gar nichts aus?«, fragte ich und deutete vage auf die steinernen Särge zu beiden Seiten.
»Diejenigen, die da drin liegen, tun uns garantiert nichts. Dafür sind sie viel zu tot«, kam es völlig unbeeindruckt von Juli. »Komm.« Einladend klopfte sie neben sich in den Staub. »Erzähl mir eine romantische Geschichte von Geistern, die ihrer unsterblichen Liebe nachheulen. Oder von Vampiren. Meinetwegen auch von Zombies.«
Zögernd setzte ich mich neben sie auf den dreckigen Boden und überlegte, ob es romantische Zombiegeschichten gab.
Es wurden sechs verdammt lange Stunden. Zunächst unterhielten Juli und ich uns noch, doch bald ging uns der Gesprächsstoff aus. Nein, mir fiel einfach keine romantische Zombiegeschichte ein und auf Julis penetrante Schwärmerei für Tobias konnte ich selbst in dieser Situation gut verzichten. Zum Glück hatte ich meinen iPod dabei und versüÃte mir die Wartezeit mit den Jungs von No Way . GroÃzügig bot ich Juli einen der beiden Ohrstöpsel an, doch sie lehnte ab. In Musikfragen lagen zwischen ihren und meinen Vorlieben, wie bei so vielen anderen Dingen, Welten.
Immerhin: Dank meiner Träumereien von Joey gelang es mir ganz gut, die unheimliche Umgebung auszublenden. Er hat so weiche Lippen , dachte ich und sah mich wieder auf der Bühne in Joeys Armen, seine Lippen auf meinem Mund. Er hebt mich hoch und wirbelt mich herum â und es fühlt sich an, als würde ich fliegen â¦
»Lena, wach auf, wir müssen los.« Julis Flüstern riss mich aus dem Schlaf. Ich kippte fast zur Seite, als sie aufstand und plötzlich die Schulter fehlte, an die ich mich angelehnt hatte. War ich tatsächlich eingenickt, hier, mitten zwischen all den Toten? Unfassbar!
Juli spähte bereits wieder durch das Gitter in der Tür, seufzte dann aber und erklärte noch immer flüsternd, dass es viel zu dunkel sei, um irgendetwas erkennen zu können. Tatsächlich war das Dämmerlicht in unserem Mausoleum mittlerweile von einer fast greifbaren Finsternis ausgelöscht worden, nur einige graue Strahlen fielen noch durch die Tür, die die Dun kelheit eher zu verstärken als abzuschwächen schienen. Wieder spürte ich die Gänsehaut, doch inzwischen war es auch so kühl geworden, dass ich nicht sicher sein konnte, ob sie von meiner Furcht oder der kalten Luft herrührte. Aber ich war noch zu schlaftrunken, um mir darüber schon wieder Gedanken zu machen.
»Egal, auf gehtâs«, entschied Juli, streckte ihre Hand aus, um mir vom Boden hochzuhelfen, und zog die Tür auf. Kaum stand ich auf den Beinen, fingen meine FüÃe unangenehm zu kribbeln an und ich stolperte hinter meiner Schwester nach drauÃen.
Dass ich ein eher ängstlicher Charakter bin, muss ich sicher nicht mehr extra erwähnen, hinzukommt, dass ich ausgesprochen ungern verbotene Dinge tue, bei denen zudem die Gefahr relativ groà ist, erwischt zu werden. Als mich die kalte Luft schlagartig aufweckte, stellte sich ebenso schnell das unangenehme Ãbelkeitsgefühl wieder ein, das ich bereits verspürt hatte, als wir den Père-Lachaise betraten. Nur war es dieses Mal deutlich schlimmer.
Die bei Tageslicht weiÃen Skulpturen und Grabmäler wirkten nun grau, die Bäume beinahe schwarz, nur wenige Lichtpunkte durchbrachen hier und da die Dunkelheit. Und es war still. So
Weitere Kostenlose Bücher