Love you, hate you, miss you: Roman (German Edition)
Frage war nur, warum er dann nicht Caro ins Kino eingeladen hatte? Schüchtern wirkte er nicht gerade auf mich.
Und vor allem, warum hatte er mich hierhergeschleppt?
Als der Film endlich anfing, fühlte ich mich hundeelend, ich war erschöpft und traurig und kam mir total fehl am Platz vor, und dann lief eine Szene auf der Leinwand, die anscheinend lustig sein sollte – ein alter Mann, der einen Herzinfarkt hatte und hilflos herumtorkelte. Er krachte gegen sämtliche Hindernisse und am Ende, als er schon mit dem Tod kämpfte, griff er nach den Brüsten eines jungen Mädchens – und alle lachten. Etwas an diesem Gelächter erinnerte mich an Julias Lachen, so sehr, dass ich sie fast körperlich vor mir sah. Und plötzlich erschien mir das Kino ganz unwirklich und ich hatte Angst, dass alles um mich herum versinken würde, wenn ich mich rührte, und dass ich dann verloren wäre.
Ich zitterte und mir war auf eine komische Weise schwindlig – nicht so, dass sich alles um mich drehte, sondern ich drehte mich und da wusste ich, dass ich hier nichts zu suchen hatte. Es war falsch, dass ich im Kino saß, gefangen in einer absurden Situation, die ich nicht durchschaute, und mit lauter Leuten, die ich nicht mochte. Ich musste hier raus. Ich musste weg und ….
Trinken.
Ich brauchte was zu trinken. Dringend.
Irgendwie schaffte ich es, aus dem Kino zu kommen, und erst als ich mir meine verschwitzten Hände an meiner Jeans abwischte und zum Ausgang lief, stutzte ich, weil ich gar nicht über Patrick hatte drübersteigen müssen – er war auch weg.
Das war komisch, aber Patrick war ja auch ein schräger Vogel, und plötzlich konnte ich überhaupt nicht mehr klar denken, weil mich wieder das Schwindelgefühl erfasste und das Foyer mit allen Leuten, die dort standen und auf ihren Film warteten, zu einem Wirbel von Farben und Gesichtern verschwamm. Ich musste hier raus. Ich brauchte was zu trinken, sofort, und ich wollte nach Hause.
Ich überlegte einen Augenblick, ob ich zurückgehen und Mel Bescheid sagen sollte, dass ich nach Hause ging, aber der merkte sowieso nicht, dass ich weg war, und ich hatte Angst, dass ich jeden Moment in Ohnmacht fallen würde oder Schlimmeres. Irgendwie fand ich schließlich ein Telefon – Mom und Dad wollten mir erst wieder ein Handy geben, wenn ich bewiesen hatte, dass ich »vernünftig genug« war. (Was allerdings absurd war, denn wen hätte ich schon anrufen sollen?) Ich rief zu Hause an und Dad sagte: »Ich komme sofort«, und nachdem ich aufgelegt hatte, setzte ich mich auf den Boden, direkt neben dem Telefon, und es war mir egal, ob mich die Leute anstarrten.
Allerdings nicht lange. Angestarrt werden, das war schon immer ein Albtraum für mich, wegen meiner Größe und meiner komischen Haarfarbe, und jetzt saß ichals Einzige am Boden, mitten in einem riesigen Schwarm von Leuten, die hin und her wuselten und mir ständig auf die Füße traten oder über mich drübersteigen mussten. Und natürlich gafften mich alle an und wunderten sich, was dieses Mädchen dort am Boden machte. Ich stand auf und huschte an der Wand entlang zum Ausgang.
Draußen ging es mir besser. Dort war nicht alles so grell, so stickig und ich wischte mir meine Hände, die immer noch verschwitzt und jetzt auch zittrig waren, an meiner Jeans ab. Ein Pärchen drängte an mir vorbei, rammte mich, als sei ich gar nicht da. Vielleicht war ich das auch nicht. Es fühlte sich jedenfalls so an. Ich ging blindlings den Gehsteig entlang, mit gesenktem Kopf, um nur ja nichts zu sehen, und ich betete, dass Dad bald kommen würde.
»Der Gehsteig endet hier, falls du’s noch nicht gemerkt hast«, sagte jemand.
Es war Patrick. Er saß am Boden, an die Wand des Kinos gelehnt, fast ganz verdunkelt von den riesigen Scheinwerfern, die alles beleuchteten, bis hin zum Parkplatz.
»’tschuldigung«, murmelte ich. Meine Stimme klang seltsam, weit weg, und ich schaute zum Foyer zurück. Es war noch heller und voller als vorher, wie in einem schlechten Comic. Nie und nimmer konnte ich dorthin zurück. Ich wollte weg, nur weg, egal wohin. Weg von diesen unangenehmen Gefühlen. Und trinken. Ich wollte wieder trinken. Ich hasste mich dafür, aber es war so.
»Setz dich lieber mal«, sagte Patrick. Ich schaute ihn an, aber er mich nicht. Er starrte geradeaus vor sich hin, die Arme eng um seine Knie geschlungen. Dann verschwamm alles, und als mein Blick wieder klarer wurde, war auf einmal alles überdeutlich, überscharf, als
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