Love you, hate you, miss you: Roman (German Edition)
das Glas hin. Er nahm es, vermied sorgfältig, dass unsere Hände sich berührten. Wenn ich es doch nur nicht gesehen hätte, aber ich sah es und es tat mir weh.
Patrick schloss auch die Augen beim Trinken.
»Mann, das schmeckt vielleicht beschissen«, sagte er, als er fertig war. »Willst du das wirklich zurückhaben?«
Ich streckte wortlos die Hand nach dem Glas aus. Er gab es mir nicht, aber das war okay. Nachher würde ich es ihm wegnehmen, damit ins Bad marschieren und es wieder auffüllen – nein, ich würde mir die ganze Flasche unter den Nagel reißen. Ich würde mir den Wodka schnappen und Patrick vergessen wie einen schlechten Traum, ich würde runtergehen zu den anderen, mitten ins Partygewühl, und … nichts.
Nein, ich wollte nicht auf die Party. Ich wollte nirgends hin. Da war niemand, den ich sehen wollte. Meine Hände zitterten wieder.
»Gib mir das Glas«, sagte ich.
Patrick schloss beide Hände darum. »Ich hab dir doch erzählt, dass ich mal mit Julia geredet habe, ja? Ich wollte mit ihr über dich reden. Das war letztes Frühjahr, an dem Montag nach … nach der Party in Millertown. Ich bin direkt vor der dritten Stunde zu ihr gegangen. Der Flur war total überfüllt, überall standen Leute rum, aber ich bin trotzdem hin und hab ihr gesagt …«
Wenn ich das Glas noch in der Hand gehabt hätte, dann hätte ich es jetzt fallen lassen. Patrick hatte mit Julia geredet und sie hatte mir nichts davon gesagt. Ich konnte es nicht glauben.
»Davon weiß ich gar nichts. Hast du ihr erzählt, was wir … hast du ihr erzählt, was passiert ist?«
Patrick schüttelte den Kopf. »Ich hab ihr gesagt, dassich auf der Party mit dir gesprochen hätte. Dass ich … dass ich dich mag. Ich dachte, vielleicht würde sie mir helfen, mit dir in Kontakt zu kommen. An dem Abend … da bist du einfach verschwunden. Ich bin sogar wieder rein auf die Party und hab dich gesucht, aber du warst weg. Als wir da unten im Keller waren, da hab ich mich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit nicht mehr als Loser gefühlt, verstehst du? Aber als ich zu Ende geredet hatte, da hat Julia …«
Ich konnte mir denken, was passiert war. Julia hasste die dritte Stunde, sie hasste Geschichte und jeder, der sie vorher ansprach, bekam sein Fett ab. Ich habe mich vor und nach jeder Stunde mit Julia an ihrem Schließfach getroffen, außer dieser einen.
»Sie hat nichts gesagt, nur ihr Schließfach zugeknallt und dann ist sie davonstolziert, stimmt’s?«
»Nein.« Patrick schüttelte den Kopf. »Sie sagte: ›Davon hat sie mir nie was erzählt.‹ Und dann hat sie mich angesehen. Nur eine Sekunde lang, aber mit einem ganz komischen Blick. Dann erst hat sie ihr Schließfach zugeknallt und ist weggegangen.«
Und da wusste ich, dass ich Julia eine noch viel schlechtere Freundin gewesen war, als ich gedacht hatte. Weil ich sie schon vor der Sache mit Kevin verraten hatte, bevor ich ihre Hand nahm und sie zum Auto führte. Ich wusste es, sobald Patrick von ihrem komischen Blick anfing.
Julia hatte mich nach Patrick gefragt. An dem Montag nach der Party gingen wir nach der vierten Stunde denFlur entlang und sie sagte: »He, hast du auf der Party jemanden kennengelernt?«
Ich schaute sie an und sie mich. Ich konnte den Ausdruck in ihrem Gesicht nicht entziffern.
»Nein«, sagte ich, weil es mir Angst machte, wie wild mein Herz klopfte bei dem bloßen Gedanken an diese Party. An diese Nacht. »Jedenfalls nichts, worüber sich zu reden lohnt.«
Der seltsame Ausdruck in ihrem Gesicht blieb. Ich verstand es nicht, aber ich wusste, dass ich diesen Typen und den ganzen Abend und alles, was ich fühlte – so unsicher, so verletzlich –, weghaben wollte. Deshalb wechselte ich schnell das Thema und sagte: »He, ich glaube, da kommt Kevin, siehst du, ganz da hinten?«
Das wirkte, aber trotzdem dauerte es eine Weile, bis der seltsame Ausdruck von Julias Gesicht verschwand.
Sie war gekränkt. Das hatte dieser Ausdruck zu bedeuten. Ich hatte versprochen, ihr immer alles zu erzählen, ein Versprechen, wie kleine Kinder es sich geben und das sie dann bald wieder vergessen, aber Julia nicht. Sie brauchte das.
Julia brauchte das Gefühl, dass es einen Menschen auf der Welt gab, der ihr immer zuhörte. Dem sie alles erzählen konnte, der ihr alles erzählte. Ich kannte sie so gut. Wieso hatte ich nicht gemerkt, was der Ausdruck in ihrem Gesicht bedeutete?
Weil ich Angst hatte. Nicht vor ihr, sondern vor mir selbst. Vor meinen
Weitere Kostenlose Bücher