Lovers (German Edition)
eines der Daunenkissen über den Kopf und versuche, die Geräusche der See auszublenden. Aber mir schwirren zu viele Gedanken durch den Kopf.
Schläft sie jetzt in ihrem eigenen Bett? Kommt sie heute Abend wieder zu mir?
Vielleicht war es doch besser, nichts zu empfinden. Diese quälenden Zweifel sind ja noch schlimmer!
Ich seufze, werfe mich auf den Rücken und atme tief ihren Duft ein, der noch an den Laken haftet.
Audrey.
Und das zusammen mit dem schalen Wein auf dem Nachttisch und dem Geruch des Meers, der in diesem Cottage so allgegenwärtig ist.
Ich liege wohl eine ganze Stunde da, ehe ich es aufgebe, aus dem Bett steige und mich anziehe. Danach gehe ich an den Strand und spaziere im dichten, grauen Nebel an der Wasserlinie entlang.
Warum ist es am Strand so einsam, und warum habe ich trotzdem das Gefühl, dass diese Einsamkeit tröstlich ist? Es ist, als verleihe diese Einsamkeit eine gewisse Stabilität. Der Ozean wird immer hier sein, auf Erden. Auch wenn die Wissenschaftler düster etwas anderes prophezeien. Er ist zu riesig und zu mächtig, um irgendwann in die Knie zu gehen.
Ich rolle die Hosenbeine meiner Cargohose hoch und wate in den kalten Ozean. Ich stehe direkt am Rand der Wellen, die sich am Strand brechen. Meine Füße versinken im weichen Sand, und das Wasser spült die einzelnen Sandkörner zwischen meine Zehen und darüber, dann zieht es sich zurück und nimmt den Sand wieder mit. Als Kind habe ich das geliebt. Ich habe dieses Gefühl immer genossen. Es ist ein Gefühl, als würde man voranschreiten, obwohl man doch stehen bleibt. Es ist wie Magie.
Der Ozean ist für mich pure Magie. Er ist mächtig und so anmutig. Beängstigend. Ich habe dieses tiefe Verständnis, dass der Ozean alle Geheimnisse der Erde birgt. Und er kennt jetzt auch mein Geheimnis. Dass ich mich schon halb in Audrey verliebt habe.
Ich bleibe sehr lange am Strand, starre zum Horizont und beobachte, wie die Sonne am Himmel höher steigt und den Nebel durchschneidet. Es verspricht, ein warmer Tag zu werden. Schon jetzt kann ich die Hitze spüren. Ich schlüpfe aus meiner Sweaterjacke und gehe wieder zurück zu unserem Abschnitt des Strands. Dort setze ich mich in den Sand und vergrabe die Zehen tief darin. Ich genieße die Feuchtigkeit unter der kühlen Oberfläche.
Ich will nicht mehr so viel über den gestrigen Abend nachdenken, will ihn nicht bis ins Letzte analysieren. Es ist, was es ist. Ich werde mehr wissen, wenn ich Audrey sehe.
Schon die ganze Zeit sehne ich mich so schmerzlich nach ihr, aber ich zwinge mich zur Ruhe. Ich versuche, ein paar vernünftige Gedanken zu fassen, wie ich mit der Situation umgehen soll, bevor ich sie wiedersehe.
Ich war inzwischen nicht länger als eine Stunde hier draußen, aber ich sehe jetzt, wie die Schreibgruppe über die Dünen kommt. Sie tragen Decken und Picknickkörbe. Audrey ist nicht bei ihnen.
“Bettina, du bist ja schon wach!” Viviane lächelt mich warm an. “Heute gibt’s Frühstück am Strand. Anschließend wird geschrieben. Wir haben genug Blöcke und Stifte mitgebracht, du kannst dich bedienen. Oder willst du erst noch mal in dein Cottage und deine Sachen holen?”
“Nein, ich denke, das geht in Ordnung. Ich kann auch ohne meine Notizen arbeiten. Danke.”
Ich frage nicht, wo Audrey ist.
Vielleicht wird es mir guttun, mit den anderen zusammen zu sein und zu schreiben. Es lenkt mich ab und ist konstruktiv. Ich habe bisher nicht so viel geschrieben wie erhofft. Zum Glück sind meine Abgabetermine diesen Sommer recht locker gesteckt, weshalb ich noch nicht unter allzu großem Druck stehe.
Viviane und Patrice haben ein einfaches Frühstück aus Gebäck und Obst hergerichtet, und es gibt Thermoskannen mit heißem Kaffee. Dankbar nehme ich einen Becher. Wir essen, trinken unseren Kaffee und unterhalten uns leise über das schöne Wetter und nichts Besonderes. Wir sind entspannt. Manchmal empfinde ich eine verwirrende Anspannung, als befinde sich ein anderer Teil von mir in ständiger Wartehaltung. Aber ich akzeptiere letztlich, dass ich nicht weiß, was als Nächstes passiert.
Nachdem wir aufgegessen haben, verteilt Viviane die Notizblöcke, während Leo die Stifte rumgehen lässt. Ich bemerke, wie seine schwarzen Haare in der Morgensonne fast blau schimmern. Mir gefällt der goldene Schimmer seiner Haut. Nach der letzten Nacht hat für mich anscheinend alles einen erotischen Unterton, denn eigentlich fühle ich mich gar nicht zu Leo Hirogata
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