Loving
Minibuchhandlung tatsächlich die Gefahr besteht, dass es das einzige Exemplar ist. Ein Buch, in das man am liebsten sofort, auf der Stelle schon im Buchladen eintauchen möchte. So ein Buch gehört zu einem. Das muss man kaufen.
Aber warum muss ich ein Buch kaufen, wenn zu Hause neben meinem Schreibtisch ein Stapel von ungelesenen Büchern steht? Auch das kann ich nur schwer erklären. Es ist wie mit einem gut gefüllten Kühlschrank, in dem wirklich schöne Dinge liegen können, aber trotzdem sucht man nach etwas ganz Besonderem, etwas Unwiderstehlichem, was nicht einfach nur satt macht, sondern viel mehr ist.
Ich bleibe bei den Fantasy-Büchern stehen. Eigentlich nicht mein Genre, aber vielleicht sollte ich es mal versuchen? Hexen, Feen, Werwölfe, Zwerge. Nein, ich will keine Zwerge. Ich gehe weiter und blättere durch eine Dystopie, aber mir ist nicht danach, in eine schreckliche Zukunftsvision einzutauchen, meine eigene Zukunft belastet mich schon genug. Und dann liegt es da. Sense and Sensibility . Von Jane Austen. Ich kann mir sogar einreden, dass ich es für meine Deutscharbeit lesen muss. Dabei habe ich es schon gelesen, nur das ich damals gar nicht so genau verstanden habe, worum es eigentlich ging. Aber jetzt verstehe ich es. Verstand und Gefühl. Die zwei Dinge, die ich gerne so weit wie möglich auseinander halte. Dabei gehören sie eigentlich zusammen.
»Ich liebe Jane Austen!«, sagt die Buchhändlerin zu mir, während ich das Buch in der Hand halte und dabei weggeträumt bin.
Ich liebe Luca Hansen , denke ich schneller, als mein Verstand es verhindern kann.
Am Ende kaufe ich kein Buch. Ich schiebe mein Fahrrad aus der Einkaufszone, steige auf, fahre ein Stück Straße und biege dann in den Park ab. Die Bäume sind noch kahl, keine Blätter, auch an den Sträuchern nicht. Normalerweise ist eine Woche vor Ostern schon Frühling, die Bäume sind grün, Tulpen blühen, doch in diesem Jahr ist alles verzögert. Fast genieße ich es. Was will ich mit dem Frühling, wenn es mir schlecht geht? Ich fahre langsam und wähle die längere Strecke, die nicht quer durch den Park, sondern außen herum führt. Es ist, als ob ich joggen würde und das beruhigt mich körperlich. Doch meine Gedanken rasen. Was ist, wenn Bücher nicht mehr helfen? Was ist, wenn gegen diesen Schmerz überhaupt nichts hilft? Was ist, wenn es nie wieder aufhört. Ich will nicht unglücklich sterben!
Ich fahre schneller, als ob ich die Gedanken dadurch abschütteln könnte. Wie kann es sein, dass jemand mich so schnell glücklich und dann wieder unglücklich macht? Wieso verliebe ich mich nicht in jemanden, der meine Interessen teilt und nicht mit jedem Mädchen der Schule schläft?
Ich sehe sehr weit vor mir einen Radfahrer und einen Läufer.
Im ersten Moment ist es nur ein Gefühl. Ein Wiedererkennen, das wenig mit Sehen zu tun hat. Was machen die hier? In meinem Park? Aber natürlich ist es ein öffentlicher Park und Luca wohnt genauso in der Nähe.
Zum Glück sind die beiden weit vor mir. Luca trabt sehr vorsichtig und Fritz fährt auf seinem Mountain Bike so langsam neben ihm, dass er das Rad ausbalancieren muss. Ich erinnere mich an meine ersten Laufversuche auf der anderen Seite des Parks. Luca toppt mein schleichendes Tempo noch. Ich halte den Abstand und bringe es weder fertig, einen anderen Weg einzuschlagen, noch zu ihnen aufzuschließen und Hallo zu sagen. Auf keinen Fall .
Ich wusste nicht, dass Fritz und Luca sich kennen. Ich weiß wenig über Lucas Freunde. Ich weiß eigentlich überhaupt nichts über ihn. Ich kenne wesentlich mehr Geschichten über ihn als Fakten. Luca hält an, beugt sich nach vorn und stützt sich dabei auf seinen Oberschenkeln ab. Ich nehme an, er hat Schmerzen. Es ist fast so, als ob ich sie spüren könnte. Fritz hält auch an und stellt sein Rad ab. Ich fahre hinter einen Baum und verstecke mich, um die beiden weiter zu beobachten. Fritz, der Luca offenbar dazu überreden will, auf seinem Rad weiterzufahren und Luca, der nicht aufgeben mag und schließlich doch auf das Rad umsteigt. Nun erkenne ich auch, dass es sein eigenes ist. Und ich kehre um und rase nach Hause.
Abendessen. Wir haben gut gegessen. Mein Vater hat Lasagne gekocht, sein Spezialessen oder genauer gesagt, dass einzige aufwendige Gericht, das er kochen kann. Während meine Mutter sich angeregt mit Alex unterhält, räume ich die Teller ab und trage sie zu meinem Vater in die Küche, der dort die Spülmaschine
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