Loving
einräumt.
»Netter Junge!«
Ich nicke. Alex ist am Nachmittag gekommen, er hat meine Eltern höflich und interessiert begrüßt, er hat sich von meinem Vater die aktuelle Sternkonstellationen erklären lassen und von meiner Mutter die Forschungsaufgaben des Instituts, er hat über die neusten deutschen Romane geredet, die neusten deutschen Filme und über sein Studium. Er ist so beeindruckend perfekt und nett, das ich »nett« sofort aus meinem eigenen Charakterprofil streiche.
»Wie wäre es, wenn wir noch etwas nach oben auf die Dachterrasse gehen und Sterne ansehen? Ich habe heute das Teleskop aufgestellt«, sagt mein Vater.
»Ich koche Kaffee«, schlage ich vor.
»Die Balken-Spiralgalaxie NGC 2903 ist rund 25 Millionen Lichtjahre entfernt und dank ihrer relativen Helligkeit schon mit kleineren Teleskopen zu erkennen«, erklärt mein Vater mit einer Leidenschaft, die ich immer wieder bewundere.
Alex wird an das Teleskop geführt. Eine heilige Handlung. »Du kannst hier die Spiralgalaxie sehen.«
Ich schaue ohne Teleskop an den Himmel. Ich brauche die Sterne eigentlich nicht genau und von Nahem zu sehen. Mir reichen die winzigen Punkte in dem schwarzen Himmel, ihr Funkeln, das Gefühl, das der Himmel eine Kuppel ist und mich beschützt. Mein Vater kann als Wissenschaftler durch das Teleskop schauen und die Sterne und Galaxien betrachten. Er findet es aufregend und spannend. Aber mich beunruhigt es. Ich denke dann sofort an die Unendlichkeit des Weltalls und die Endlichkeit meines Lebens. Ich möchte zwar nicht ewig leben, aber ich möchte das beste Leben haben, das ich mir vorstellen kann.
»Wahnsinn«, sagt Alex. »Wie groß ist denn diese Balken-Spiralgalaxie?«
»Sie hat einen Durchmesser von 80.000 Lichtjahren«, erläutert mein Vater und programmiert ein neues Beobachtungsziel in den Computer seines Teleskops.
»Noch etwas Kaffee, Alex?«, fragt meine Mutter.
Ich kneife die Augen zusammen und stelle mir vor, dass Alex und ich zusammen sind. Meine Eltern wären sicher begeistert. Er ist der perfekte Schwiegersohn, interessiert, vernünftig, intelligent, aufgeschlossen. Eigentlich könnte ich die Liste der positiven Eigenschaften unendlich fortsetzen. Stimmt das? Laufe ich davon, wenn ein Junge in meine Nähe kommt, mit dem es ernst werden könnte?
»... auch mal sehen?«
»Wie?«
»Schau mal!«
Ich stehe von der Bank auf, wickele mich aus der Decke und gehe zu Alex. Er tritt beiseite und ich stelle mich an das Teleskop und betrachte Planeten, die nun Stecknadelkopfgröße haben.
»Siehst du den Jupiter?«, fragt mein Vater.
In der Astrologie steht der Planet für Glück und Expansion. Laufe ich an meinem Glück vorbei? Ich nehme das Auge vom Teleskop und lächele Alex an, flirte sogar. Er lächelt zurück und für einen winzigen Moment ist alles in Ordnung.
Etwas später zeige ich Alex den Rest des Hauses und das Gästezimmer.
»Wie sind deine Pläne für die nächsten Tage«, frage ich.
»Morgen trifft sich die Exkursionsgruppe. Wir gehen zusammen essen. Hast du Lust, mitzukommen?«
Ich zögere. Ich gehöre ja nicht zur Gruppe.
»Kein Problem«, sagt Alex, »die sind alle aus meinem Semester, total nett, und einige haben ihre Freunde mitgenommen.«
»Und die anderen Tage?«
»Das reguläre Programm beginnt am Mittag so gegen elf oder zwölf und geht dann bis zum Nachmittag oder frühen Abend.«
»Wir können dann immer zusammen frühstücken«, schlage ich vor.
»Nachdem du gejoggt bist ...«
»Wir können zusammen laufen.«
Alex winkt ab und lächelt. Diesmal flirtet er. »Nein, ich mache dann Frühstück, das lief doch in Leipzig schon so gut.«
Es ist schon fast zwölf, als ich in mein Zimmer komme. Ich sehe mich um. Ich bin gerne in meinem Zimmer und habe sonst jeden Nachmittag darin verbracht und es immer aufgeräumt. Und jetzt? Am Fußende meines Bettes liegt noch das blaue Kleid von der Party, über der Lehne meines Schreibtischstuhls hängen meine frisch gewaschenen Sportsachen, die ich morgen zum Joggen anziehen werde, ein Turnschuh liegt neben dem Bett, den anderen habe ich sofort an der Tür ausgezogen und dort stehen gelassen. Ich werfe mich auf mein Bett, drücke mein Gesicht ins Kissen und seufze. Egal, was ich mache, mit wem ich flirte, was ich denke: Ich bin verliebt in Luca.
Mein iPhone weckt mich um halb zehn. Ich stöhne, denn es kommt mir viel zu früh vor und mein Plan, vor dem Frühstück zu joggen, ist einfach idiotisch. Es ist Sonntag, sonst schlafe ich
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