Luc - Fesseln der Vergangenheit
der US -Flagge auf seiner Uniform sie an Luc. Unwillkürlich lächelte sie zurück, ehe ihr einfiel, wie unpassend das Verhalten für eine Afghanin war. Sie wartete nicht länger auf eine passende Gelegenheit, sondern gab Gas und zwang zwei andere Fahrer zum Bremsen.
Trotzdem verfolgte der Gedanke an Luc sie weiter. Wo mochte er sein? Seit zwei Tagen hatte sie nichts mehr von ihm oder Kalil gehört.
Kaum hatte sie den Renault vor dem Klinikgebäude gestoppt, brach die Hitze wieder über sie herein. Der Fahrtwind hatte wenigstens für etwas Abkühlung gesorgt. Nach kurzem Überlegen ließ sie die Fenster offen. Stehlen würde den Wagen niemand, und Wertgegenstände gab es im Inneren nicht. Das Krankenhaus hatte wenig Ähnlichkeit mit den modernen Bauten im Westen und dennoch waren es diese eher provisorischen Kliniken, die die ärztliche Versorgung der Bevölkerung sicherstellten. Das eigentliche Krankenhaus von Kunduz war völlig überlastet. Patienten lagen teilweise auf dem Boden und mussten stundenlang auf dringende Behandlungen warten. Jasmin hatte ein Besuch gereicht, um festzustellen, dass sie dort nicht helfen und nichts ändern konnte. Gerüchteweise hieß es, dass die Verhältnisse sich verbessert hätten, seitdem das Krankenhaus mit dem Bundeswehrlazarett zusammenarbeitete, aber gerade deswegen beschränkte sie sich auf zwei kleinere Kliniken und die Ärzte dort. Kontakt zu den internationalen Truppen war das Letzte, das sie brauchen konnte.
Erst als Mahmut mit besorgter Miene auf den Wagen zukam, bemerkte Jasmin, dass sie immer noch grübelnd in dem aufgeheizten Wagen saß. Rasch stieg sie aus und betrat nach einem kurzen Gespräch mit dem Wachmann die Klinik.
Erst vier Stunden später war sie in Begleitung des Klinikchefs wieder auf dem Weg zum Parkplatz. Ihr Rücken schmerzte und hinter ihrer Stirn pochte es, aber sie war zufrieden. Ihrer Patientin ging es gut und die weitere Versorgung konnte sie getrost den Krankenschwestern überlassen. Zusammen mit dem Klinikchef hatte sie dann noch ein kleines Mädchen operiert, das nach einem schweren Verkehrsunfall jetzt wieder auf dem Weg der Besserung war. Der Vater, ein strenggläubiger Muslim, hatte nicht eine Sekunde gezögert, als Jasmin hinzugezogen wurde.
Seine Worte zum Abschied hallten noch in ihr nach: »Kein Baum bewegt sich ohne Wind. Wo steht geschrieben, dass Frauen keine Ärzte sein dürfen? Das Ergebnis ist entscheidend, manchmal auch der Weg dahin, aber viel zu oft verhindert die Engstirnigkeit der Menschen, die sich auf ihre eigene Interpretation des Korans oder der Bibel berufen, sowohl Ergebnis als auch den Weg eines Menschen.«
Ihre Überraschung hatte er mit einem Lächeln und einer kleinen Verbeugung beantwortet. »Vier Jahre Studium in London haben mir erlaubt, auch den Westen kennenzulernen und mir mein eigenes Bild zu machen.«
Als sie den Eingang erreicht hatten, beendete der Klinikchef das einvernehmliche Schweigen und erklärte ihr, dass der Mann ein bekannter und beliebter Lehrer war und viele hofften, dass er in die Politik ging. »Es war für ihn selbstverständlich, dass er mit seiner Tochter sofort hierherkam, statt den weiten Weg zum großen Krankenhaus zu fahren. Der Transport hätte das Mädchen umbringen können. Ich danke dir für deine Hilfe, Jasmin. Willst du nicht doch fest bei uns anfangen? Wir können dir nicht viel bieten, aber deine Arbeit wäre hier willkommen.«
»Danke für das Angebot, aber ich werde auch woanders gebraucht. Allerdings weiß ich nicht, wie sich die Dinge entwickeln. Vieles ist im Umbruch, und wer weiß schon, was das Schicksal für uns bereithält. Solange es geht, helfe ich dir aber.«
Er rieb sich über seine Glatze und tippte dann auf den Korb. »Und plünderst unsere Bestände, aber auch das verzeihe ich dir, obwohl ich mich jetzt ein weiteres Mal mit Bestellungen herumplagen muss.«
»Der Impfstoff rettet in den Bergen Leben. Das weißt du.«
»Natürlich, sonst hätte ich ihn dir nicht überlassen. Pass auf dich auf, Jasmin. Etwas ist anders als sonst, du trägst Sorgen in dir und deine Worte bestätigen das.«
Eine Krankenschwester rief nach ihrem Chef und verhinderte, dass Jasmin antworten musste. Dankbar für die Ablenkung verabschiedete sie sich von den Wachleuten und ging zu dem Renault.
Sie fluchte leise, als sie sich an dem heißen Türgriff die Finger verbrannte. Obwohl die Mittagshitze vorbei war, hatte sich der Renault in einen gut aufgeheizten Backofen verwandelt. Sie
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