Luc - Fesseln der Vergangenheit
wohlhabendes Wohnviertel von Kunduz. Ihre Lage wurde immer verworrener und sie wusste nicht einmal, wie sie hierhergekommen war. Vorsichtig tastete sie sich an der Wand entlang zu einer Tür, die nicht verschlossen war.
Vor ihr lag ein komfortables Badezimmer. Nur wenige, eindeutig männliche Toilettenartikel am Waschbecken und in der Dusche deuteten auf einen Bewohner hin. Eine lange Dusche wäre jetzt perfekt gewesen, aber sie traute sich nicht, ihre Kleidung abzulegen, ehe sie herausgefunden hatte, wo sie sich befand. Aber nichts sprach dagegen, die Toilette zu benutzen und sich literweise kaltes Wasser ins Gesicht zu schaufeln, bis ihr Durst gestillt und die Benommenheit verschwunden war und ihr Kopf wieder funktionierte.
Wesentlich fitter als zuvor kehrte sie in den Raum zurück, in dem sie erwacht war. Eine oberflächliche Durchsuchung förderte nichts zu Tage, das sie als Waffe hätte verwenden können. Nachdenklich betrachtete sie das Bett. Vier hölzerne Pfosten mit aufwendigen Schnitzereien rahmten die Liegefläche ein. Es war ein Verbrechen, das kunstvolle Handwerk zu beschädigen, aber der Zweck heiligte die Mittel. Mit einigen gezielten Tritten und nach heftigem Zerren löste sich der obere Teil des Pfostens und sie hielt eine brauchbare Keule in der Hand. Ein Gedanke durchzuckte sie. Aus irgendeiner Windung ihres Gehirns tauchte die Warnung auf, dass ihre Gegner verdammt gute Nahkämpfer waren. Aber sie war auch keine hilflose Puppe und konnte sich wehren.
Gedämpfte Stimmen drangen durch die zweite Tür. Anhand der Wortrhythmen und des Klangs war sie sicher, dass es sich um Männer handelte, die Englisch miteinander sprachen. Sie redeten zu leise, um den Zusammenhang zu verstehen, lediglich einzelne Fetzen kamen bei ihr an, aus denen sie sich zusammenreimte, dass sie auf etwas oder jemanden warteten. Einer schien besorgt zu sein. Die Stimmen wurden lauter, offenbar näherten sie sich der Tür.
Worte, dann kristallisierten sich ganze Sätze heraus.
»Ihr habt wirklich mehr Glück als Verstand.«
»Von wegen, das nennt sich Können. Willst du nicht lieber warten?«
»Nein, ich will sichergehen, dass es ihr gut geht.«
»Kennst du eigentlich den Unterschied zwischen Neugier und berechtigter Sorge? Es dauert doch noch höchstens zwei Minuten, bis der Boss hier ist.«
Ein geknurrter Fluch, dann wurde von der anderen Seite die Klinke niedergedrückt und die Tür vorsichtig aufgeschoben.
Jasmin holte aus und ermahnte sich zur Geduld. Eng an die Wand gedrückt wartete sie auf den richtigen Augenblick. Ein hochgewachsener, blonder Mann blieb im Türrahmen stehen und blickte mit gerunzelter Miene auf das leere und beschädigte Bett. Als er den Kopf Richtung Flur drehte, war der perfekte Zeitpunkt zum Angriff gekommen. Jasmin schlug zu und traf ihn in Höhe des Solarplexus. Eine Hand auf die Magengegend gepresst, fiel er vorne über. Am Gürtel trug er eine Waffe. Mit einem Ruck zerrte Jasmin die Pistole aus dem Halfter und sprang zurück. Die Sig Sauer kannte sie. Sie schob den Sicherungshebel zurück und richtete die Mündung auf den Blonden, der sich langsam wieder aufrichtete.
»Los, runter auf den Boden.«
Hustend schüttelte er den Kopf. »Mach keinen Mist, Mädchen. Und nimm die Waffe runter.«
»Wieso sollte ich? Runter jetzt, oder … « Sie verzichtete auf wortreiche Drohungen und jagte dicht über seinem Kopf eine Kugel in die Wand.
Der Blonde zuckte zusammen. »Verdammt. Du machst wirklich höllischen Ärger. Ich hoffe, du bist es wert.« Mit schmerzverzerrter Miene befolgte er Jasmins Anweisung. Aber irgendwie bekam er es hin, dass er sich erst in einiger Entfernung von der Tür mit dem Rücken an die Wand lehnte. Damit fiel es Jasmin schwer, gleichzeitig die Tür und ihn im Auge zu behalten. Ehe sie die Lage korrigieren konnte, erschienen im Türrahmen zwei weitere Männer. Ein Rotblonder, der nach einem Blick auf ihre Waffe in den Flur zurückwich und sich außerhalb ihrer Sichtweite aufhielt, und noch ein Blonder, der jedoch einen Vollbart trug und einen hünenhaften Körperbau besaß.
»Der Wikinger«, entfuhr es Jasmin.
Der Hüne sah auf den Blonden, den Jasmin überwältigt hatte, und verstaute dann lächelnd seine Waffe in seinem Gürtelholster. »Stimmt, so hast du mich vorhin genannt. Bist du bis auf die Kopfschmerzen in Ordnung?«
Die ehrlich wirkende Sorge brachte Jasmin aus dem Konzept. »Ja, geht schon wieder. Bis auf ein paar Erinnerungslücken. Wer seid ihr?«
»Noch
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